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Absichtslosigkeit Vielleicht hat die Überschrift den Leser überrascht, denn wer ist heute geneigt, in der Absichtslosigkeit eine Tugend, also ein Bild sittlichen Wertes zu sehen? Es gibt wohl ein Weisheitswort aus dem alten China, das sagt, je weniger Absichten jemand habe, desto mächtiger sei er; die größte Macht sei die volle Absichtsfreiheit. Der Gedanke ist uns aber fremd. Das Menschenbild, das seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts bei uns maßgebend geworden ist, hat andere Art. Es ist das des Aktiven, der entschlossen auf die Welt zugeht und in ihr seine Zwecke durchsetzt. Dieser Mensch ist voll von Absichten und glaubt, vollkommen zu sein, wenn alles, was er tut, sich den Zielen unterordnet, die er sich setzt. Daß er viel erreicht, würden auch die Lehrer jener alten Weisheit nicht bestreiten. Sie würden aber wahrscheinlich sagen, das Meiste davon liege im Bereich der Oberfläche; an dem, worauf es eigentlich ankomme, gehe es vorbei. Freilich, das Asien unserer Zeit beginnt selbst anders zu denken. Wie lebt also der Mensch, den die Absichtshaltung beherrscht? Im Verkehr wendet er sich nicht mit schlichter Bereitschaft dem anderen Menschen zu, sondern will immer etwas: Eindruck machen, beneidet werden, Vorteile gewinnen, vorankommen. Er lobt, um gelobt zu werden. Er tut einen Dienst, um später einen solchen verlangen zu können. Darum sieht er auch im Anderen nicht wirklich den Menschen, sondern den Reichtum, oder die gesellschaftliche Stellung - immer aber die Konkurrenz im Dasein. Bei ihm fühlt man sich gewarnt. Man muß vorsichtig sein. Man spürt den Willen und zieht sich zurück. Das freie | ||
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