Romano Guardini Online Konkordanz
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Gottes Nähe und Ferne

In mancherlei Weise können die Geheimnisse des Heils und die Hoffnungen ewigen Lebens ausgesprochen werden: durch den Ruf der Verkündung, die Gebote der Weisung, die Begriffe der Theologie - das Lebendigste wird in Bildern gesagt. Das bedeutet nicht, es geschähe dann ungenau oder spielerisch. Bilder sind zuverlässig, aber in ihrer eigenen Weise. Man darf sie nicht in Begriffe überführen wollen, sondern muß mit ihnen so umgehen, wie sie es verlangen: schauen, fühlen, in ihnen leben.
Dann kommt auch etwas zu seinem Recht, was zum Innersten unseres Menschenwesens gehört: daß nämlich das Sprechen nur eine Seite von etwas Umfassenderem ist, dessen andere Seite Schweigen heißt. Der Mensch bedarf der Wahrheit; er lebt von ihr, wie er von Speise und Trank lebt. Ihrer wird er mächtig, indem er sie im Wort mitteilbar macht - aber auch indem er sie schweigend durchfühlt. Erst beides zusammen ist jenes Ganze, das wir "Erkenntnis" nennen. Und eins trägt das andere: die schweigende Innewerdung klärt sich in der Offenheit des Wortes; dieses aber versichert sich in der inneren Stille immer wieder seines Sinnes. Das wird in bildlichen Aussagen besonders deutlich; denn der Begriff sucht das Gemeinte sagend zu erschöpfen, das Bild hingegen sagt wohl, weist aber zugleich auf das Unsagbare hin und trägt so das Schweigen in das Sprechen selbst hinein.
Von einem solchen Bild, in dessen Sagen und Schweigen Gottes Geheimnis deutlich wird, soll die Rede sein: von Seiner Ferne und Nähe.
Es klingt zunächst seltsam, wenn mit Bezug auf Gott von Ferne oder Nähe gesprochen wird, da es ja doch für Ihn weder das eine noch das andere gibt, sondern Er einfachhin ist. Wenn wir

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