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Berlin an sie geschrieben – so wie man 1943 schreiben konnte. Der andere kam aus noch weiterer Vergangenheit. Ich hatte mir die »Liturgische Bildung« herausgeholt, die neu aufgelegt werden soll. Das Exemplar stammte aus der Bibliothek von Gino. Ich hatte es ihm geschenkt, und nun lag darin ein begonnener Brief an Any, den er offenbar 1923 in Berlin schreiben wollte. Nur die Anrede und anderthalb Zeilen ... Heute kam ein Brief von München, Frl. Chrz., meine langjährige Sekretärin, habe ins Krankenhaus gemußt; es gehe ihr gar nicht gut. Große Beunruhigung, obwohl ich seit langem darauf gefaßt sein mußte. Wer weiß, was wird? Isola, Donnerstag 22.10.53 Ich bin mit Thomas Manns »Lotte in Weimar« fertig geworden. Ein unglaublich gekonntes Buch – mir scheint, ich habe das schon einmal geschrieben. Was aber das Gesagte selbst angeht – jeder Satz ist richtig und falsch zugleich. Und auf eine böse, giftige Art falsch, nämlich gnostisch. Ich weiß nicht, ob der wirkliche Goethe so denkt; der des Thomas Mann schafft jede Entscheidung hinaus. Alles steht im Sowohl-als-auch. Wenn man nur hoch genug hinaufgeht, lösen sich alle Widersprüche, ja sie werden notwendige Elemente im Ganzen. Der höchste Wert ist die Ironie, dichterisch gesehen die Parodie, das souveräne Spiel dessen, der im Ganzen steht und daher, innerhalb dessen, nichts ernst nimmt – die Haltung des Rilke’ schen Engels, für den alle Wesen Puppen im Marionettenspiel des Daseins sind. Ich habe mir aus Ginos nachgelassener Bibliothek jetzt die »Buddenbrooks« geholt. Zwischen den beiden Büchern liegt eine lange Zeit. Will sehen, ob dazwischen etwas passiert ist. Nach den Novellen, etwa dem Tonio Kröger zu urteilen, wahrscheinlich nicht viel. | ||
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