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170. Brief vom 13.12.1941, Berlin-Schlachtensee. Berlin 13.12.41 Lieber Josef vielen Dank für Deinen Brief, mit dem Du ankündigst, daß »ein Vogel geflogen kommen« solle. Eigentlich müßte man sagen, geschwommen, und dabei kann es doch im besten Fall nur heißen gefahren. Im besten Fall deshalb, weil ich begründete Besorgnisse über sein Schicksal hege, denn nicht=eingeschriebene Vögel sind eben vogelfrei*1043, wie vielfache Erfahrungen zeigen. Hoffen wir aber, daß ein guter Stern über ihm waltet. Für Eure liebevolle Fürsorge sagen wir sehr herzlichen Dank. Auch hier sehen die Kaufläden aus, als ob Heuschrecken hindurchgezogen wären, aber apokalyptische, die nicht nur Grünes, sondern auch Ledernes, Papierenes, Gläsernes, Metallenes, kurzum alles fressen.*1044 Das ist betrüblich, denn dann weiß das Christkind nicht, was es bringen soll. Es ist also auf Bücher angewiesen, die es zum Glück vorsorglich beiseite gelegt hatte. Ich möchte sie aber nicht in den Durcheinander des Weihnachtsverkehrs hinausschicken, sondern lege dafür einen Stellvertretungsschein her, damit man weiß, was eigentlich unter dem Christbaum liegen müßte. Was die nordische Frühgeschichte von Noack*1045 anlangt, so möchte ich vorsorglich hinzufügen, daß ich den Verfasser gut kenne. Er ist ein Sohn des Archäologen Noack*1046, hat mehrere Jahre in Norwegen gearbeitet und ist nun Professor in Greifswald. Und nun wünsche ich Dir ein gutes und stilles Weihnachtsfest. Man bekommt vielerlei Gedanken, wenn man an die Reihe der Weihnachtsfeste zurückdenkt, die gewesen sind. Es ist ein schönes Bewußtsein, daß 1043 Eine verschlüsselte Mitteilung: »Kommt ein Vogel geflogen« ist der Beginn eines Liebesliedes; er bezieht sich hier wohl auf eine Sendung von Weiger, die postalisch »nicht eingeschrieben« war und deshalb leicht verlorengehen konnte. Im Ganzen eine Anspielung auf die Verletzung des Postgeheimnisses durch das NS-Regime. 1044 Der II. Weltkrieg brachte eine spürbare Waren- und Lebensmittelknappheit. 1045 In der Bibliothek Mooshausen befindet sich das Widmungsexemplar: Ulrich Noack, Nordische Frühgeschichte und Wikingerzeit, München/Berlin (Oldenbourg) 1941; mit hs. Widmung: Weihnacht 1941 Romano; außerdem: Paul L. Wellman, Jubal Troop. Roman, Zürich (Scientia) 1940; mit hs. Widmung: Weihnachten 1941. 1046 F. Noack, Professor für Klassische Archäologie an der Universität Kiel (1904-1908), danach an der Universität Berlin. | ||
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