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Am Stadttor von Naïn
Nachdenkliches zu Lukas 7,11–17}
[1958]

Ich möchte Freunden und freundlich Bekannten die Gnaden der Weihnachtszeit wünschen. Das soll durch einige Gedanken geschehen, die mir immer wieder im Zusammenhang mit einem bestimmten Text des Neuen Testamentes kommen. Der enthält zwar nichts, was sich unmittelbar auf die Geburt des Erlösers bezöge, aber mir scheint, er ist sozusagen unterirdisch dorthin verbunden. Und zwar handelt es sich um das geheimnisvolle Geschehnis am Stadttor von Naïn, wo Jesus dem Zug begegnet, der den Sohn der Witwe zu Grabe trägt. Vielleicht können die Gedanken auch anderen etwas bedeuten, so möchte ich sie hier darlegen.
Von dem Geschehnis berichtet nur Lukas, jener Evangelist, bei dem man einen so wachen Sinn für Menschliches fühlt. Er war ja Arzt; sein Meister, Paulus, sagt es im Brief an die Kolosser (4,14). Sein eigenes Evangelium verrät es durch kleine Züge – und er ist es ja auch, der ausführlich von Jesu Kindheit erzählt. Der Text aber, um den es sich handelt, lautet so:
„In den darauf folgenden Tagen geschah es, daß Er auf eine Stadt zuging, Naïn mit Namen, und seine Jünger gingen mit Ihm und viel Volk. Wie Er sich dem Stadttor näherte, siehe, da trug man einen Toten heraus, den einzigen Sohn seiner Mutter, und diese war Witwe; und zahlreiches Volk aus der Stadt war mit ihr.
Als der Herr sie sah, wurde Er von Mitleid über sie ergriffen und sprach zu ihr: ‚Weine nicht!‘ Dann trat Er hinzu und berührte die Bahre. Die Träger blieben stehen, und Er sprach: ‚Jüngling, Ich sage dir, steht auf!‘ Da setzte der Tote sich auf und fing an zu reden, und Er gab ihn seiner Mutter. Furcht aber ergriff alle, und sie lobten Gott und sprachen: ‚Ein großer

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