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Bernhard von Clairvaux in Dantes „Göttlicher Komödie“ I. Man macht sich wohl keiner Übertreibung schuldig, wenn man sagt, Dantes große Dichtung sei die vollkommenste literarische Synthese des mittelalterlichen Bewußtseins. Die Gestalt eines Zeitalters pflegt am reinsten ins Licht zu treten, wenn es unterzugehen beginnt - ebendas geschieht hier: In Dantes glühendem Geist wird das Bild der bereits sinkenden Zeit mit einer Größe und einem Glanz sichtbar, die ihm in ihrer Blüte versagt blieb. Wohl alle Motive, Kräfte und Ordnungen, die das Mittelalter bestimmen, erscheinen in seiner Dichtung. So steht zu erwarten, daß auch die großen Persönlichkeiten, die es geprägt haben, in irgendeiner Weise in ihr zu finden seien. Zu ihnen gehört Bernhard von Clairvaux, und seine Gestalt erhebt sich denn auch in der Divina Commedia an einer entscheidenden Stelle: im einunddreißigsten Gesang des Paradiso, unmittelbar vor der letzten Vision, in der Dantes Schicksalsgang seine endgültige Erfüllung findet. Die Göttliche Komödie hat vielleicht am meisten unter allen großen Epen der Literatur den Charakter der Einheit. Ihr Zusammenhang ist mit einer solchen Konsequenz herausgearbeitet, und alle Elemente sind so streng in ihn eingefügt, daß es schwer ist, ein Einzelmoment herauszuheben. Man kann es immer nur so tun, daß man irgendwie das Ganze aufruft. So bitte ich den Leser, einverstanden zu sein, wenn wir erst nach längerem Anlauf zu der Gestalt gelangen, um die es hier geht. | ||
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