Romano Guardini Online Konkordanz
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"Offenbarung" als Form des Lebensvollzugs

I.
Der erste Satz jeder Lehre von der Offenbarung lautet: Was sie ist, kann nur sie selbst sagen. Sie bildet keine Stufe in der Folge der natürlichen Daseinserschließungen, sondern kommt rein aus dem göttlichen Anfang. Sie ist auch keine notwendige Selbstmitteilung des höchsten Wesens, sondern ein Handeln des freien, personalen Gottes. Ein Vorgang also, zu dessen Verständnis das Denken in die Schule der Schrift gehen und lieber die Gefahr auf sich nehmen muß, Gott "menschlich", als ihn philosophisch zu verstehen. "Gott offenbart" heißt vor allem: "Gott handelt." Dieses Handeln trifft auf das Dasein, wie es in sich ist; stellt es mit seinem Schlimmen und Guten unter das Gericht; fordert, daß es umkehre; hebt es aber auch, wenn es gehorcht, in einen neuen Anfang - ja, sein Gehorchen ist bereits der Anfang; denn daß es gehorchen könne, schenkt ihm der gleiche Gott, der es anruft. So gehört es zum Wesen der Offenbarung, daß sie nicht von der Welt abgeleitet werden kann, sondern aus ihr selbst entgegengenommen werden muß.
Der Gott, der in ihr spricht, ist aber der nämliche, der auch die Welt geschaffen hat. Was er anredet, ist seine Schöpfung. So erhebt sich die Frage, ob es in ihr Vorentwürfe für die Offenbarung gebe, und ob es zum Verständnis dieser letzteren helfen könne, jene zu verstehen. Nicht um ihr Wesen abzuleiten, sondern um das Auge vorzubereiten und den Gedanken zu erziehen, damit sie das Eigentliche besser erfassen.
Solche Vorgänge und Verhältnisse, die auf das eigentliche Geschehnis des Offenbarens hinweisen, gibt es tatsächlich; unter ihnen scheinen zwei besonders bedeutungsvoll zu sein.


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