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Die Zweite Elegie Entstanden in Duino, unmittelbar nach der ersten I. Jeder Engel ist schrecklich. Und dennoch, weh mir, ansing ich euch, fast tödliche Vögel der Seele, wissend um euch. 1–3 Die Elegie soll vom Engel sprechen, angesichts des Engels aber vom Menschen, und beginnt mit einem Ausruf des Schreckens. Der Ausruf drängt die weichlichen Bilder zur Seite, welche vom späten Mittelalter an das gewaltige und heilige Wesen des Engels immer tiefer erniedrigt haben. Es wurde aber bereits bei der Interpretation der ersten Elegie gesagt, was in Rilkes Dichtung mit dem Wesen des Engels geschehen ist. Er hat, wie der Dichter im mehrfach genannten Brief an Witold von Huléwicz erklärt, mit der biblischen Vorstellung nichts mehr zu tun; ist vielmehr Zeuge jenes durch die ganze Neuzeit gehenden Geschehens, in welchem die Welt sich von der Offenbarung ablöst, aber so, daß sie deren Inhalte in ihren eigenen Bereich hineinzieht. Die Engel der Elegien sind groß gesehen, ernst genommen, aber nicht mehr die Boten des lebendigen Gottes. Sie tragen noch Inhalte und Empfindungen aus ihrem Ursprung in sich, aber ganz ins Welthafte verwandelt. Sie sind Wesen, die man, vereinfachend, als Götter bezeichnen könnte. Die Worte, mit denen die zweite Elegie beginnt, stehen fast gleichlautend im siebenten Vers der ersten. Beide Male drücken sie die Ferne und Unzugänglichkeit der Engel aus. Der Redende ist aber „um sie wissend“, mit einem Wissen, das Auftrag ist; so muß er von ihnen reden. Mehr, er muß sie „ansingen“, sich preisend und beschwörend an sie wenden – was ihm auch geschehen möge, wenn er sich den „fast tödlichen Vögeln der Seele“ naht. Die Schrecklichkeit der Engel ist nicht die des Bösen, von welchem die Elegien, wie es scheint, überhaupt | ||
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