Romano Guardini Online Konkordanz
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Der unvollständige Mensch und die Macht
Die Unterwerfung der Natur

1. Wir wollen unsere Frage so angehen, daß wir uns vergegenwärtigen, wie der frühe Mensch sich in der Welt vorgefunden hat. Das wird uns Heutigen, die wir im Besitz so reicher Kenntnisse und Hilfsmittel sind, kaum gelingen; wir müssen es aber wenigstens versuchen, weil erst auf diesem Hintergrund unser Problem deutlich wird.
Dieser Mensch sieht sich von einer Natur umgeben, die er nicht versteht; so kommen ihm aus ihr Bedrängnisse in unabsehlicher Zahl. Die Unbilden der Witterung sind furchtbar hart und die Naturkatastrophen übermächtig. Nahrung und Kleidung müssen mit großer Mühe gewonnen werden. In der umgebenden Tierwelt drohen gefährliche Feinde, und der Mensch ist von schweren Krankheiten geplagt ... Dem allen hat er eine in naturhafter Beziehung nur höchst ungenügende Organisation entgegenzustellen, denn er verfügt weder über die Schnelligkeit des Tieres, noch über dessen Kampfmittel; seine aufrechte Haltung aber bringt ihm zunächst mehr Gefahr als Nutzen.
Sagen wir es genauer: Er ist eben kein Tier, sondern mehr und Anderes, nämlich ein Mensch, und eben deshalb gefährdeter als jedes Tier, das sich mit seinen Organen und Instinkten ganz in die Umwelt einpaßt. Schon im frühen Menschen lebt, wenn auch noch unfrei, der Geist. Der wird im Lauf einer im Vergleich zu den biologischen Entwicklungsperloden unbegreiflich kurzen Zeit den Zustand der Kultur schaffen; am Anfang aber, und im Vergleich zur Sicherheit des vollkommen in seine Umwelt eingespielten Tieres, wirkt er selbst gefährdet. Denn die Empfänglichkeit für die Eindrücke wie die Reaktion gegen sie, die Akte der Abwehr und des

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