Romano Guardini Online Konkordanz
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Geistiges und Geistliches

»Wunsches Gewalt«
Was bedeutet das eigentlich, einem andern etwas Gutes zu wünschen? In den Reden des Buddha wird immer wieder folgende Übung empfohlen: »Der Mönch sammelt sich, und er strahlt die Kraft des Wohlwollens, die sein Herz erfüllt, über eine Himmelsgegend hin, ebenso über die zweite, die dritte, die vierte; nach oben, nach unten, in die Quere, nach allen Seiten hin. In aller Vollständigkeit über die ganze Welt hin strahlt er die Kraft des Wohlwollens, das seinen Sinn erfüllt; des breiten, ganzen, unbegrenzten, von Haß und Böswilligkeit freien Wohlwollens ...« Wenn man sich in den Sinn dieser Worte versenkt, so tritt einem daraus etwas sehr Großes entgegen. Das Wohlwollen, das gute Wollen zum Andern hin, der Wunsch, daß es dem Anderen wohl ergehe, ist nicht nur etwas Psychologisches, ein Gedanke, eine bloß im Innern des Wünschenden vorhandene Gesinnung, sondern eine lebendige Kraft.
Der Geist ist Wirklichkeit; höhere Wirklichkeit, wenn auch zartere, als die physische. Ein geistiges Tun ist wirklicher als ein körperliches. So ist etwas höchst Wirkliches auch der gute Wunsch, der aus dem offen und kräftig hingewendeten Innern kommt. Wenn ich mit lebendiger Herzenskraft dem Anderen Gutes wünsche, dann geschieht ihm Gutes.
Es wird erzählt, als John Henry Newman, der spätere Kardinal, schon der katholischen Kirche zugeneigt war, habe sein anglikanischer Freund Pusey noch lange keine Sorge gehabt, er möchte übertreten. Eines Tages aber habe er erfahren, irgendwo in Frankreich bete eine Klostergemeinschaft für Newmans Konversion, und da sei ihm angst geworden. Dieser Mann wußte um geistige Wirklichkeiten. So wußte er

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