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Freiheit/ Eine Gedenkrede

Wir sind hier versammelt *1, um der Männer und Frauen zu gedenken, die vor sechzehn Jahren für Volk und Land so hartes Schicksal erlitten haben. Die Ehre, die ihnen gebührt, wollen wir ihnen so erweisen, daß wir den hohen Wert bedenken, um den es ihnen ging: die Freiheit.
Wenn wir das Wort aussprechen, nennen wir ein Grundrecht des mündig gewordenen Menschen. Doch wollen wir uns den Ausdruck jener großen Gefühle versagen, die dem Erlebnis der Freiheit entspringen können; vielmehr über sie in nüchterner Erwägung der Weise sprechen, wie Menschenleben geartet ist, wie es gedeiht oder Schaden leidet.
Das wird von selbst zu einer energischen Selbstprüfung führen. Sie wird uns zu Bewußtsein bringen, daß die Freiheit in der Schätzung der heutigen Generation nicht sehr hoch steht. Die Totalisten nennen sie ein »bürgerliches Vorurteil«; einen Vorwand, um jener großen Hingabe auszuweichen, die allein das Volk zur höchsten Leistung zusammenschweißen könne. Bei denen aber, die sich zu ihr bekennen, überkommt einen oft die beunruhigende Frage, ob sie die Freiheit vom Kern ihrer Persönlichkeit her wollen ... ob der heutige Mensch wirklich wisse, was Freiheit ist ... ob das Wort, das eines der lebendigsten und stärksten unserer Sprache sein sollte, nicht in Wahrheit zerfalle.
Ich glaube, den Männern und Frauen, die damals so Hartes gedacht und gewagt haben, würde eine solche Prüfung besser zusagen als Begeisterung und Gelöbnisse, denn sie führt an die Wirklichkeit heran - den, der die Wirklichkeit will.

*1 [Gehalten auf der Gedenkfeier der Stadt München und der Akademie für politische Bildung, Tutzing, zum 20. Juli 1944 im Alten Rathaus, München, am 19.7.1960].

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