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Prachtswerk. Bald ging's weiter nach Neisse, dem eigentlichen Reiseziel. Prof. S. wollte dort Kluge*239 sprechen, Du erinnerst Dich vielleicht aus Tübingen her, daß ich von ihm sprach? Wir fanden ihn bei den Schwestern wo wir abgestiegen waren, und ich hatte von ihm einen sehr starken Eindruck. Weißt Du, ein Denker aus der Zeit und vom Schlag Staudenmaiers, Deutingers*240, ganz auf Metaphysik und Naturphilosophie gestellt, zugleich Mathematiker, Techniker, ein »Erfinderkopf«, der sich mit Rechenmaschinen, Schreibmaschinen, Harmoniumskonstruktionen u. dgl. abgab. Er war durch die Klassiker, durch die deutsche Philosophie hindurchgegangen, hatte nachher seelisch und körperlich sehr schwere Zeiten durchzumachen. Als ich ihn sah, war er ein milder, ganz abgeklärter Mann, mit einem wunderlichen Lächeln, körperlich sehr gebrechlich, aber wenn er in seine Gedanken und Spekulationen kam, dann ward alles straff an ihm und seine Augen voller Kraft. Nun gings aber seltsam; er starb am folgenden Tag. Das hat uns wohl ergriffen, besonders Herrn S., der ihn sehr lieb hatte. Aber doch empfanden wir seinen Tod als etwas gar Schönes. Er war über 73 Jahr alt, hatte eigentlich abgeschlossen und wartete alle Tage aufs Sterben. Und daß das nach einer sehr großen Freude geschah, ist schön. - Ich habe ihm sein Sterbebildchen verfaßt. - In Neiße selbst habe ich etwas ganz Prächtiges gesehen. Davon will ich jetzt erzählen. Dort ist ein fürstbischöfl. Knabenkonvikt. Das leitet Dr. Bernhard Strehler*241. Er hat seine ganze Tätigkeit auf Vertrauen gebaut. Die Schüler - ich erzähle, wie es mir einfällt - schlafen im offenen Schlafsaal, ohne Zellen. Sein Schlafzimmer, das ursprünglich daneben lag und durch ein Guckfensterchen mit dem Saal verbunden war, hat er sofort anders wohin verlegt und das Fensterchen verschlossen. Ausgang ist zu 2 oder drei, ohne alle Aufsicht. U. zw. können die einzelnen 239 Dr. Adolf Kluge (1840 bis 1913, Neiße); vgl. BL 101. 240 Deutinger, Martin (1815, Schachten/Oberbayern, bis 1864, Bad Pfäfers/Schweiz), kath. Theologe, Philosoph. Werke: Über das Verhältnis der Poesie zur Religion, neu hg. von Karl Muth, Kempten/München 1915 (BM); Geschichte der Philosophie, Regensburg 1853 (BM); Im Geist und in der Wahrheit. Gedanken zu einer Philosophie des Gebetes aus den Schriften M. Deutingers, zusammengestellt v. Franz Zimmer, Mainz 1924 (BM); Grundlinien einer positiven Philosophie auf christliche Principien, 1843-53; Die Denklehre, 1844; Das Reich Gottes nach dem Apostel Johannes, 3 Bde., 1861-67 u.a. 241 Strehler, Bernhard (1872, Lissau bis 1945, Charlottenbrunn), kathol. Priester, Mitbegründer des Quickborn in Schlesien, Leiter von Burg Rothenfels bis zur Ablösung durch Guardini 1927. Vgl. GF 114ff.; BL 101. | ||
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