Romano Guardini Online Konkordanz
Treffernummer:

 < Seite 180> 


Unsere geschichtliche Zukunft
Antwort an Gerhard Krüger
[auf dessen Kritik an „Ende der Neuzeit“]
[1953]

Lieber Freund!
Du wartest auf meine Stellungnahme zu Deiner Kritik. Die Antwort fällt mir aber schwer – vielleicht deshalb, weil unsere Anschauungen einander so ähnlich sind. In dem Brief, der Dein Manuskript begleitet hat, wunderst Du Dich darüber, auf wie viel Verschiedenheit Du gestoßen seiest, obwohl unser Denken sich sonst so nahe sei. Ich erfahre das Umgekehrte: wieviel von dem, das du mir entgegenhältst, ich als berechtigt empfinde, obwohl ich im Ganzen der Frage einen anderen Standpunkt eingenommen habe. Dadurch wird alles sehr kompliziert. Denn ich sehe bei jedem Satz, den Du schreibst, wie er zustande kommt, und wie viel Richtiges in ihm ist; daher muß ich das, worin ich glaube anders denken zu sollen, zu diesem Richtigen in Beziehung setzen und zugleich von ihm abheben.
Die Leser unserer Darlegungen werden es auch nicht leicht haben. Wenn sie die Deinigen mitdenken, können sie nicht anders, als immer wieder zuzustimmen; folgen sie dann den meinigen, so werden sie, hoffe ich, sie auch erwägenswert finden. Darauf werden sie tun, was man bei einer gewissenhaft geführten Diskussion tun soll: Deine Kritik noch einmal lesen, vielleicht gar – was ich allerdings kaum zu hoffen wage – meine beiden Schriften noch einmal vornehmen. Dann werden sie merken, wie schwer es ist, zu einer Antwort zu gelangen, wenn es sich nicht um abstrakte Probleme, sondern um die Deutung geschichtlicher Situationen handelt; gar der allerschwersten, nämlich der gleichzeitigen. Sie werden merken, daß man auf verschiedenen Linien zugleich denken muß, um die Einheit zu

 < Seite 180>