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Erscheinung und Wesen der Romantik [1948] I. Diese Vorlesung hat die Aufgabe, zu der nun abgeschlossenen Reihe von Einzeldarstellungen eine Art philosophischen Epilogs zu geben. Sie soll hinter die Auswirkungen des Romantischen in den verschiedenen Kulturgebieten – der Naturwissenschaft, der Geschichtsauffassung, der Philosophie, der Dichtung, dem staatlichen Leben – zurückgreifen und fragen, was dieses Romantische an sich sei? Worin das Wesen der all diesen Äußerungen zugrunde liegenden menschlichen Haltung bestehe? Worin das Eigentümliche des Bildes bestehe, das hier von der Welt, vom Menschen und vom Menschenwerk erscheint. Das Phänomen ist ebenso groß und verwickelt wie die verfügbare Zeit eingeschränkt; so erscheint unser Unternehmen als nicht sehr aussichtsreich. Dabei ist die größte Schwierigkeit noch nicht genannt. Beschäftigt man sich nämlich mit der Erscheinung, die „Romantik“ heißt, näher und bekommt das Proteushafte zu spüren, das ihren Äußerungen anhaftet, dann drängt sich der Gedanke auf, ob sie sich nicht der Frage nach dem Wesen grundsätzlich entziehe. *1 An sich läge es nahe, die Frage in der gleichen Weise anzusetzen, wie etwa die nach dem Wesen der Aufklärung. Um letztere zu erfassen, würde man etwa von dem eigentümlichen Vernunfterlebnis des 18. Jahrhunderts ausgehen; würde zeigen, wie diese Vernünftigkeit mehr ist als bloße Ratio in unserem Sinne, *1 Man wird an ein anderes, nur noch viel umfassenderes Phänomen erinnert, das die abendländische Geschichte durchzieht, unabsehliche Wirkungen ausgeübt hat und doch jeder Definition zu widerstehen scheint, nämlich die Gnosis. Nimmt man diese in der ganzen Fülle ihrer Erscheinungen, auch der mittelalterlichen und neuzeitlichen, so fühlt man sich manchmal versucht, die Romantik zu ihr in Beziehung zu bringen. | ||
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