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Zur Einführung EXISTENZ UND EXISTENTIELLES DENKEN I. Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, mit einer Erinnerung zu beginnen. Rund sechzig Jahre sind es her, seit ich in Tübingen bei Wilhelm Koch Vorlesungen über Dogmatik hörte. Nachdem er das betreffende Problem mit seiner sorgfältigen Methodik erörtert hatte, pflegte er einen kleinen Schlußabschnitt unter dem Titel „Lebenswert des Dogmas“ hinzuzufügen. Uns würde heute eine solche Überschrift nicht weiter auffallen; damals bedeutete sie etwas Neues. Die allgemein übliche Behandlung theologischer Fragen verfuhr nämlich so, daß der betreffende Offenbarungsinhalt als theoretische Lehre entwickelt, die Frage aber, was er für das konkrete Leben bedeute, einer anderen Disziplin, genauer gesagt, einer Lebensunterweisung, „Aszetik“ genannt, zugewiesen wurde. Diese hatte zu Bewußtsein zu bringen, wie der betreffende Offenbarungsinhalt im Verständnis des Lebens, im Zusammenhang der sittlichen Pflichten, im Leben des Gebetes usw. zur Geltung komme. Damals begann man aber, diese Trennung nicht nur als unbefriedigend, sondern als falsch zu empfinden. Man sagte sich, die Offenbarung sei etwas anderes als die Kundwerdung einer theoretischen Wahrheit, vielmehr von vornherein und wesentlich auf das Leben bezogen. Daher müsse die theologische Darlegung anders verfahren als etwa die Untersuchung historischer oder soziologischer Gegenstände. Es war die Zeit, in welcher der Pragmatismus seine Wirksamkeit ausübte, das heißt, jene Auffassung philosophisch-religiöser Ideen, welche den Charakter der Wahrheit überhaupt nur in ihrer fördernden Wirkung auf das Leben sah. Danach war „Wahrheit“ gleich „Wirksamkeit«; genauer gesagt: Wahrheit bedeutete die Tatsache, daß eine Idee das Leben bereichere, steigere, ordne. Von da aus wurde die Frage, ob eine religiöse Aussage in sich und abgesehen von solcher Wirkung richtig sei, vielfach nicht nur als müßig, sondern als sinnlos angesehen. Das traf nun natürlich nicht zu; denn Wahrheit ist etwas anderes als praktische Wirksamkeit, und eine wahre philosophische oder religiöse Aussage bleibt wahr, auch wenn sie rein theoretisch | ||
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