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Die Achte Elegie
Entstanden am 7. und 8. Februar 1922 in Muzot.

I.
Mit allen Augen sieht die Kreatur das Offene. 1–2
„Die Kreatur“, von welcher der erste Vers spricht, ist die Schöpfung. Wie die nächsten Verse zeigen, zunächst die der Tiere – jener, die „Augen“ haben. Damit vollziehen sie einmal die unmittelbare Funktion dieser Organe: sie sehen die Dinge und Vorgänge ihrer Umgebung. Darüber hinaus tut aber „die Kreatur“ mit ihren Augen noch etwas anderes: sie sieht ins „Offene“ hinaus – und es ist für die Rilkesche Bestimmung des menschlichen Daseins entscheidend, daß seiner Ansicht nach darin dieser Akt fehlt.
Was ist mit diesem „Offenen“ gemeint? *1
In Rilkes schon mehrfach genanntem Brief an Witold von Huléwicz vom 13. November 1925 *2 heißt es: „Lebens- und Todesbejahung erweist sich als Eines in den ›Elegien‹. Das eine zuzugeben ohne das andere, sei, so wird hier erfahren und gefeiert, eine schließlich alles Unendliche ausschließende Einschränkung. Der Tod ist die uns abgekehrte, von uns unbeschienene Seite des Lebens: wir müssen versuchen, das größeste Bewußtsein unseres Daseins zu leisten, das in beiden unabgegrenzten Bereichen zu Hause ist, aus beiden unerschöpflich genährt ... Die wahre Lebensgestalt reicht durch beide Gebiete, das Blut des größesten
*1 Sobald der Interpret die achte Elegie nicht nur als Ausdruck, sondern auch als Aussage nimmt, stellt sie ihn vor besonders schwierige Aufgaben. Ich habe mich sehr um sie bemüht, muß aber gestehen, daß das Ergebnis noch nicht ganz befriedigend erscheint. So darf ich es nur mit einigem Vorbehalt vorlegen.

*2 Br M 332ff.

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