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138. Brief vom 16.09.1930, Isola Vicentina. Isola Vicentina 16. Sept. 1930 Lieber Joseph, gestern habe ich den Mietvertrag für meine neue Wohnung unterzeichnet und abgesandt. Der Umzug wird voraussichtlich Anfang Oktober stattfinden. So kehre ich in das alte Haus*936 nicht mehr zurück, sondern komme aus den Ferien in das neue, Lichterfelde=West, Beerenstraße 38. Damit ist eine lange Geschichte zu einem - ersten? - Abschluß gekommen.*937 Ich habe sehr viel gelernt. Z.B. was Schicksal ist; irrevokables Erleben; die Unerbittlichkeit und Unbeweglichkeit bestimmter Empfindungsforderungen; Frauenlogik und =unlogik und vieles sonst. Ich habe aber auch eines gelernt, mein liebster Freund, daß in Deinem so sehr impressionablen und sich selbst so wenig vertrauenden Romano doch etwa [etwas?] sehr Festes sein muß, das im Grunde und trotz allem seine Richtung nicht preisgibt. Worum es für mich ging, war meine Freiheit und die Treue zu meinem Werk, meiner Welt, und den mir Verbundenen. Und Du wirst es verstehen, wenn gerade mich es freuen muß, daß ich nicht unterlegen bin. Es war gut, den Schritt zu tun. Frau K. von der Verkehrtheit einiger alles bestimmender Auffassungen zu überzeugen, war nicht möglich. Situationen werden aber nicht nur durch das gebildet, was ist, sondern dadurch, wie sie empfunden werden. Und empfindungsbestimmte Phantasmen sind noch stärker als Wirklichkeiten, besonders wenn die betreffende Persönlichkeit so im Leben steht, daß die durchschnittliche Wirklichkeit überhaupt nicht an sie herankommt. Nun ist der drückende Zustand aufgelöst. Ich bin freier; Frau K. auch. Was gut ist in allem, wird bleiben. Vielleicht wird es sogar gelingen, nun, aus der Freiheit, manches ins rechte Licht zu rücken. 936 Sophienstr. 4/5 in Charlottenburg. 937 Räumliche Trennung von Fanny Kempner, wobei die geistige Verbindung weiterbestand, wie die folgenden Briefe zeigen. | ||
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