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Zum Problem der Demokratie Ein Versuch der Klärung [1946] Lieber Freund! Neulich hörte ich einen Vortrag von Prof. Sagave von der Straßburger philosophischen Fakultät. Der Vortrag war sehr interessant, lebendig und von einer schönen persönlichen Haltung getragen. So bekam er denn auch von der akademischen Jugend einen Beifall, wie ich ihn einem Angehörigen der Siegermächte gegenüber noch nie gehört habe. Von der erwachten Sympathie getragen, verlief die Aussprache, die zum ersten Mal gewagt worden war, gut, obwohl sie mehrfach an gefährliche Fragen rührte. Im Verlauf dieser Diskussion stellte ich eine Frage, die sich mir beim Vortrag selbst aufgedrängt hatte. Er hatte von Ideen der persönlichen Würde, der Freiheit, der Humanität, der Demokratie gesprochen, und diese Ideen waren mir seltsam ohnmächtig vorgekommen. So sagte ich ihm, meine Freunde und ich hätten in Deutschland die Sorge, ob diese Gedanken angesichts der Mächte wirtschaftlicher, soziologischer, politischer Art, die in Bewegung sind, überhaupt noch wirklich in Betracht kämen. Es war charakteristisch, daß ich darauf keine wirkliche Antwort bekommen habe, und ich habe es für besser gehalten, nicht zu insistieren. Nun lese ich ein außerordentlich kluges und mutiges Referat, das Felix Messerschmid an das Tuttlinger Gouvernement Militaire über die geistige Situation der Jugend gerichtet hat. Darin kommt der bezeichnende Satz vor: „Die Jugend betrachtet die Demokratie als eine Sache der Alten und empfindet die Forderung, demokratisch zu denken, als einen Versuch der Alten, ihr die eigene Denkweise aufzuzwingen.“ | ||
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