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Die mystagogische Predigt [1943?] I. Nach frühchristlicher Anschauung ruht das christliche Dasein auf dem immerfort vorsichgehenden Handeln Gottes. Dieses Handeln bildet die heilige Geschichte, die sich mitten durch die weltliche hindurch vollzieht. Ihr Inhalt ist das verborgene Werden des neuen Menschen, des „neuen Himmels und der neuen Erde“, auf die Stunde hin, da der Herr wiederkommen und alles offenbaren wird. Von diesem Geschehen bildet die Liturgie die sinnfälligste Erscheinung. Was aber die Predigt angeht, so ist sie zwar nicht auf den Raum der Liturgie beschränkt, aber doch tief in ihm verwurzelt. In der Neuzeit wird das anders. Diese sieht, auch wo sie gläubig ist, die Welt nicht mehr als etwas, das unmittelbar aus der Hand Gottes hervorgeht, sondern als ein wohl von Ihm geschaffenes, aber nun nach eigenen Gesetzen laufendes Ganzes. Dementsprechend rückt auch der Schwerpunkt des religiösen Lebens vom geheimnisvollen, auf das offenbarende Ende zudrängenden Weltwirken Gottes weg in die Innerlichkeit, in das Denken, Fühlen und Gesinntsein des einzelnen. Die Liturgie wird nicht mehr als die wichtigste Vollzugsstelle und immerfort aufleuchtende Erscheinung jenes heiligen Geschehens, sondern als Mittel zur Erbauung empfunden. Die Predigt aber verläßt weithin ihren unmittelbaren Zusammenhang mit dem Kult und tritt in den allgemein menschlich-geistigen Raum. Sie hört weithin auf, Ausdruck und Werkzeug jenes „opus Dei“ zu sein und wird zum Sprechen des priesterlichen Lehrers, der Gedanken darlegt, Gefühle anruft und Willensentschließungen herbeiführt. Sie tritt in Nachbarschaft zur Wissenschaft auf der einen, zur Literatur auf der anderen Seite. | ||
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