Romano Guardini Online Konkordanz
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Güte

In diesem Kapitel wollen wir eine Tugend bedenken, die leicht zu kurz kommt, weil sie zurückhaltend ist, unauffällig, still, nämlich die Güte. Wie oft wird von der Liebe geredet! Sie fordert dazu heraus, denn sie ist groß und leuchtend. Man sollte es aber seltener tun; es wäre besser für sie - dafür öfter von dem sprechen, was unserer harten Zeit so sehr nottut, nämlich von der Güte.
Das Wort verleitet leicht dazu, das von ihm Gemeinte etwas abschätzig anzusehen, »Güte« als Gutmütigkeit mißzuverstehen, die gewiß nichts besonders Wertvolles bedeutet. Sie ist Passivität, die geschehen läßt; oder Trägheit, die keinen Konflikt will; oder auch Dummheit, der man alles Mögliche einreden kann. Güte hingegen ist etwas Starkes und Tiefes -aber eben deshalb nicht leicht zu bestimmen.
Versuchen wir es so: Ein gütiger Mensch ist einer, der es mit dem Leben gut meint, von Grund auf. Kann man es denn mit dem Leben auch schlimm meinen? Das kann man wirklich, besonders dann, wenn die Frage sich nicht so sehr auf sichtbare Handlungen, als auf eine dahinterstehende Gesinnung richtet, die vielleicht gar nicht besonders zu Bewußtsein kommt.
Etwa kann ein Mensch den anderen gegenüber herrschsüchtig sein. Er sagt wohl, er wolle ihr Bestes, worauf es ihm aber in Wahrheit ankommt, ist, sie zu beherrschen. Ein Solcher meint es mit dem Leben nicht gut, denn im Griff der Herrschsucht erstickt es. So manche Familientragödie kommt daraus, daß Einer in ihr sich die Anderen untertan machen will, ob es nun ein Mann ist, oder eine Frau, Tochter oder Sohn. Wirkliche Güte läßt dem Lebendigen offenen Raum, freie Bewegung - nein, gibt sie ihm, schafft sie ihm, denn nur darin gedeiht es.


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