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Selbstlosigkeit

Der Name auch der Tugend, über die wir nun nachdenken wollen, ist merkwürdig. Wenn wir in ihn hineinhorchen, geraten wir ins Sinnen. Was kann das bedeuten: Selbstlosigkeit - und ebenso der Widerspruch dazu: Selbstsucht? Wie kann man das suchen, was man doch ist, das eigene Selbst? Wie von dem loskommen wollen, das doch alles trägt, was man ist und tut, und noch diesen Versuch, loszukommen, mit? Sehen wir einmal genauer zu, was dieses merkwürdige Etwas ist: das Selbst, von dem in so seltsamer Weise gesprochen wird.
Das »Selbst« eines Menschen kann zunächst einmal einfach das Stück Wirklichkeit meinen, das er ist. Er, Mensch, im Unterschied zu einem Baum oder einem Tier. Er, dieser Mensch, im Unterschied zu einem anderen und zu allen Menschen sonst. Das wäre richtig, bliebe aber im Äußerlichen, sozusagen im Statistischen.
Man muß also tiefer gehen. Da bedeutet »Selbst« das Eigentümliche, Charakteristische, das Einer ist; seine Eigenschaften, Anlagen, Möglichkeiten; aber auch seine Grenzen, Fehler, Untugenden; alles das als Einheit, gesammelt um einen Mittelpunkt - eben Ihn-selbst. Also etwa das, was wir »Persönlichkeit« nennen. Diese ist um so reicher und entschiedener, je voller die Eigenschaften entwickelt sind, j»c deutlicher sie sich abzeichnen, je fester sie sich ineinanderfügen, je wirkkräftiger das Ganze ist. Von hierher sprechen wir von einer großen, oder mittelmäßigen, oder kleinen Persönlichkeit, einer starken oder schwachen, echten oder unechten, und so fort.
In noch einmal tieferem Sinne bedeutet »Selbst« die merkwürdige Tatsache, daß dieses Wesen da, Mensch genannt,

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