Romano Guardini Online Konkordanz
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157.
Brief vom 25.09.1933, Isola Vicentina.
Isola Vicentina 25.9.33
Lieber Joseph
Ich schreibe Dir aus der Arbeit heraus, da es mich drängt; ich wollte, Du wärest da, dann würde es ein langes und fruchtbares Gespräch geben. Im Winter will ich ein Kolleg über christliche Anthropologie lesen.*1002 Das soll die Grundlegung meiner Dogmatik werden. Bis jetzt war mir der Gedanke der Dogmatik eine noch ganz unzugängliche Aufgabe. Jetzt ist sie auf einmal in Fluß gekommen. Ich will die christliche Anthropologie geben; richtiger: die Explikation des christlichen Existenzbewußtseins, mit Voraussetzungen, Untergründen, Aufgaben, u.s.w. Die Gottesfrage aber wird sich dann immer ergeben von der Frage nach dem Menschen aus.
Ich habe Dir ein Buch schicken lassen, das großen Eindruck auf mich macht: Groethuysen, Philosophische Anthropologie.*1003 Ob Du es wohl lesen könntest, bis ich komme? Wir hätten dann eine prachtvolle Basis. Es ist nicht groß, 200 Seiten. Sehr dicht und lebendig. Z.B. der Abschnitt über Platon und Aristoteles ist herrlich; Augustin ein Meisterstück.
Ich freue mich sehr auf unser Zusammensein.
Bis dahin die herzlichsten Grüße - auch an Mina Bärtle.
Romano


1002 Vorlesungsankündigung: Der Mensch (Grundfragen einer christlichen Anthropologie), Freitag 19-20 Uhr (M 407). Dieses Thema las Guardini über mehrere Semester in Berlin, später in Tübingen und München. Das noch unveröffentlichte umfangreiche Ms. liegt in der Kath. Akademie in München.
1003 Bernhard Groethuysen, Philosophische Anthropologie, München 1931. - Groethuysen (9.1.1880, Berlin, bis 17.9.1946) war zeitgleich mit Guardini an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin als Philosoph tätig.

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