Romano Guardini Online Konkordanz
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Ein werdendes Idol
Unsystematische Reflexionen *1

Auf die Frage, was ein Idol sei, antwortet das Buch Exodus im zwanzigsten Kapitel, vierter bis fünfter Vers: »Du sollst dir kein Gottesbild machen., keinerlei Abbild, weder dessen, was oben im Himmel, noch dessen, was unten auf Erden, noch dessen, was in den Wassern unter der Erde ist. Du sollst sie nicht anbeten und ihnen nicht dienen.«
Nach der Schrift ist ein Idol ein Bildwerk, das seinen unmittelbaren Gegenstand der Weltwirklichkeit entnimmt; das aber diesen Gegenstand so darstellt, daß er als numinose, religiöse Mächtigkeit empfunden wird und zu einer religiösen Verehrung auffordert - einer Verehrung, die den Charakter des Dienstes hat, das heißt, von der Person des Menschen erwiesen wird.
Die sich offenbarende Mächtigkeit ist bei den mythisch-polytheistischen Religionen eine solche der Natur - zum Beispiel der Licht spendenden und Leben erzeugenden Sonne -, die sich dann, im Fortschritt der kulturellen Entwicklung, von der unmittelbaren Naturerscheinung aus vertiefen und sich - wieder im Fall der Sonne - zur Vorstellung einer geistigen Licht- und Schaffensmacht erheben kann.
Die erfahrene Mächtigkeit wird durch die Gestaltungskraft der religiös-künstlerischen Phantasie zu einer konkreten Gestalt (Apollon) verdichtet und ihr Wesen in verehrenden Erzählungen von ihrem Ursprung, ihren Taten und Schicksalen entfaltet (Mythen).
Die Gestalt des Numens wird aus den verschiedensten Bereichen
*1 Der Beitrag erschien erstmals in »Speculum historiale«, Festschrift für Johannes Spörl, 1965, Alber München.

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