![]() | Treffernummer: |
< | Seite 12 | > |
Der Glaube in der Reflexion I. Das Mittelalter hat viel und tief gedacht. Es hat mit einer Zuversicht gedacht, die uns fast jugendlich vorkommt. Mit jenem Wagemut, mit dem nur der denken kann, dessen Lebenswurzeln diesseits allen Denkens in unbelichteter Erde geborgen liegen. Sie hatten gut denken, die großen Intellektualisten des Mittelalters! Die Ursprünge ihres Lebens waren so stark und lagen in solchen Tiefen, daß kein Denken ihnen etwas anhaben konnte. Ja, ihre Seele, ihr Gemüt, ihr Blut, ihr ganzes sprossendes Menschengewächs lebte mit solcher Kraft, daß sie des Denkens bedurften, um dieses Leben zu objektivieren und so seine Gewalt zu dämpfen. Es war damit, möchte man sagen, wie mit dem Aderlaß im damaligen Heilwesen: Jene Konstitutionen wußten von Blutarmut nichts, wohl aber vom Gegenteil, und bedurften der Lebensverdünnung. Das religiöse Denken konnte sich getrost auf die Dinge des Glaubens werfen; das religiöse Leben selbst, der Glaube war geborgen. So elementar war dieses Glaubensleben, daß sein Druck wohl nicht ertragen worden wäre, hätte nicht das Denken es unablässig in durchlichtete Gegenständlichkeit gehoben. Bei alledem bleibt aber der Glaube selbst immer Anfang. Das Denken will nicht "hinter ihn kommen". Er bleibt unreflektiert. Man denkt über die Glaubensinhalte nach, und über die ganze Welt aus dem Glauben her; nicht über den Glauben selbst. Doch ja; auch über den Glauben selbst denkt man nach; aber konstruktiv, nicht kritisch. Man denkt über den Glauben nach, um die Wunder seiner Struktur zu betrachten; um zu sehen, wie er zu anderen Erkenntnisformen stehe. Man nimmt ihn aber nicht unter den kritischen Blick. Wiederum besagt das nicht, man habe Glaubenszweifel nicht gekannt. Den hat man wohl gekannt; jedoch in erster Linie als Sünde. | ||
< | Seite 12 | > |