Romano Guardini Online Konkordanz
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Petrus der Fels
[1952]

1.
Wir wollen durch die Evangelien wandern und nach dem Bild jenes Mannes suchen, der – wenn es erlaubt ist, so zu sprechen – der menschlichste unter allen Aposteln war.
Es sagt viel, wie das Volk sich zu einer Persönlichkeit stellt; ob es sie in seine Phantasie aufnimmt, sie lieb gewinnt, ja, gar zu ihr in jenes Verhältnis besonderer Vertrautheit kommt, die sich im Humor äußert. Im Humor, nicht im Witz oder Spott. Jener Art also, Fehler zu sehen, welche diese in engster Verbindung mit den Tugenden hält; fast als deren andere Seite, so, daß durch sie die Tugend menschlich wird, und der Fehler eine Hoffnung bekommt. Das ist beim Apostel Petrus geschehen. Er ist jener von den Zwölfen, der am tiefsten in die Legende eingegangen ist.
Ist es nicht schön, wenn da zum Beispiel erzählt wird, wie Jesus mit den Aposteln über Land geht, und auf dem Wege ein Pfennig liegt. Der Herr sagt zu Petrus: „Heb’ ihn auf.“ Petrus aber denkt: „Was soll der Pfennig?“ Und läßt ihn liegen. Da hebt der Herr ihn selbst auf und kauft dafür Kirschen. Der Tag ist heiß, und er läßt die Kirschen fallen, immer eine um die andere, und jedes Mal bückt sich Petrus durstig nach der kleinen Frucht. Nachdem er sie alle aufgehoben hat, wendet der Herr sich um und sagt lächelnd: „Hundert Mal hast du dich jetzt gebückt, Petrus. Einmal nur wär’s nötig gewesen!“ Petrus aber sieht es ein: „Ja Herr. Ich will mir’s merken.“
Vielleicht scheint es ungehörig, vor eine Betrachtung, wie wir sie vorhaben, eine solche Geschichte zu setzen – aber doch wohl nur dem, der selbst keinen Humor hat. Und wie soll man leben können ohne ihn?

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