Romano Guardini Online Konkordanz
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Zur Frage der Wiedereinführung der Todesstrafe
[1961]

I.
In der Frage, ob die im Gesetz nicht mehr vorgesehene Todesstrafe wieder eingeführt werden solle, gehen verschiedene Gesichtspunkte durcheinander und verwirren die Antwort. Folgende scheinen besonders wichtig:
1. Ethisch ernste Menschen haben das Gefühl, die jetzige Weise der Bestrafung sehr schwerer Verbrechen, besonders des Mordes, durch Freiheitsstrafen reiche nicht hin. Der Forderung, der Gerechtigkeit müsse Genüge geschehen – welche Forderung nicht nur aus einem Recht des einzelnen als solchen, sondern auch einer Pflicht des Staatsbürgers gegen das Gemeinwesen hervorgehe –, entspreche die jetzige Ordnung nicht.
2. Andererseits hat die Weise, wie der Nationalsozialismus und der Kommunismus die Todesstrafe zu politischen Zwecken mißbraucht haben, dieser im Gefühl der Allgemeinheit weithin den rechtlichen Charakter genommen. Sie erscheint weithin als Mißbrauch, ja als berechneter Mord.
3. Die Prozedur der bewußt vollzogenen Tötung eines Menschen wird vom tieferen Gefühl als Unmenschlichkeit empfunden.
Vorkehrungen, die ihn „menschlicher“ zu gestalten, das heißt Angst, Schmerz usw. zu verringern, die Möglichkeiten sittlicher Entwicklung usw. zu erhöhen suchen, heben das von jenem Gefühl Gemeinte nicht auf; ihre ethische Bemühtheit steigert es vielleicht noch.
4. Über das Recht des Staates, die Todesstrafe zu verhängen, bestehen im Staatsvolk verschiedene, ja widersprüchliche Auffassungen. Soll das Strafgesetz aber den Charakter der Rechtsordnung haben, so muß es wenigstens auf einem Mindestmaß von Übereinstimmung beruhen. Es scheint daher

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