Romano Guardini Online Konkordanz
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Geduld

Die erste unserer Meditationen hat sich bemüht, vom Begriff der Tugend das Enge, Moralistische wegzutun, das sich im Lauf der Zeit daraufgelegt hat, und sie als etwas Lebendiges, Großes und Schönes zu verstehen - so könnte es befremden, wenn die Überschrift der folgenden Überlegungen für die Geduld den Anspruch macht, etwas Derartiges zu sein. Ist sie nicht etwas Graues, Unscheinbares? Eine Kümmerlichkeit, mit welcher das gedrückte Leben die eigene Armut zu rechtfertigen sucht?
So wollen wir mit unseren Gedanken gleich in der Höhe, beim Herrn aller Tugend ansetzen. Der große Geduldige ist nämlich Gott - deshalb, weil Er der Allmächtige und Liebende ist.
Haben wir uns schon einmal klargemacht, wie geheimnisvoll es ist, daß Gott die Welt überhaupt geschaffen hat? Der Nichtglaubende weiß von diesem Geheimnis nichts, denn er sieht sie als »Natur«, das heißt, als das, was einfachhin da ist. Aber auch dem Glaubenden kommt es in der Regel nicht zu Bewußtsein, weil er die Schöpferschaft Gottes selbst naturhaft versteht, als die erste Ursache in der Reihe der Ursachen, die in der Natur wirken. In ihm ist wohl Glaube, aber dieser hat noch nicht die Weise seines Denkens und Fühlens bestimmt. Diese ist noch so wie die allgemeine der Zeit. Sobald aber der Glaube in den Kern der Persönlichkeit dringt, wird ihr das Sein des Endlichen geheimnisvoll, und die Frage erwacht: Warum hat Gott es geschaffen?
Wenn wir die Frage zu beantworten vermöchten, wirklich zu beantworten, dann hätten wir viel verstanden. Aber das ist auf Erden nicht möglich, denn es würde voraussetzen, von

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