Romano Guardini Online Konkordanz
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Liebe, Opfergesinnung, Leidensmut, Glauben, Vertrauen usw. Nicht zu fein gespitzte, zu zarte, weiche, sondern kräftige, klare, natürlich-einfache Empfindungen.
Und dann: die Liturgie hat eine wunderbare Zurückhaltung. Gewisse Weisen der Hingabe spricht sie kaum aus, oder aber umhüllt sie mit einem so reichen Bilderwesen, daß die Seele sich darin doch geborgen fühlt. Das Beten der Kirche zerrt die Geheimnisse des Herzens nicht heraus. Es hält sich im Gedanken und im Bild; es weckt wohl jene ganz zarten, tiefsten Regungen und Vorgänge, aber läßt sie zugleich im Verborgenen. Man kann bestimmte Gefühle der Hingabe, gewisse Worte, welche die innere Entschlossenheit offenbaren, nicht ohne Gefahr für die geistliche Schamhaftigkeit der Seele öffentlich aussprechen, vollends nicht oft. Die Liturgie hat dem Menschen gegeben, daß er in ihr sein Innenleben nach seiner ganzen Fülle und Tiefe aussprechen kann und doch sein Geheimnis geborgen weiß: Secretum meum mihi. Er kann sich ergießen, kann sich ausdrücken, und fühlt doch nichts in die Öffentlichkeit gezogen, was verborgen bleiben muß. *6
Ähnliches gilt von den im Gebet enthaltenen sittlichen Verhaltungsweisen.
Die liturgische Handlung, das liturgische Gebet gehen aus sittlichen Voraussetzungen hervor: dem Verlangen nach Gerechtigkeit, der Reue, Opferwilligkeit usw., und münden auch oft wieder in sittliche Akte aus. Doch kann man hier wiederum einen feinen Takt beobachten. Sittliche Leistungen sehr tiefgreifender Art, besonders solche, die eine innere Entscheidung bedeuten, fordert sie nicht leicht. Sie verlangt sie dort, wo es
*6 Die Liturgie leistet hier im geistlichen das gleiche, was auf dem Gebiete des äußeren Lebens die edle, durch lange Überlieferung feinfühliger Menschen geschaffene Umgangsform. Diese ermöglicht dem Menschen die Gemeinschaft mit den anderen und sichert ihn doch vor allem unberechtigten Eingriff in sein Inneres; er kann herzlich sein, ohne seine Würde zu verlieren; er hat eine Brücke zum Nächsten, ohne deshalb in der Menge unterzugehen. Ebenso wahrt die Liturgie durch eine wunderbare Verbindung von Natürlichkeit und feinster Kulturform der Seele die Freiheit geistlicher Bewegung. Sie bildet als Urbanitas den schönsten Gegensatz zur Barbarei; denn die Barbarei tritt dann ein, wenn Natürlichkeit und Kultur zugleich verloren sind.

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