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34. Brief vom 02.11.1913, Freiburg. (auch 07.11.1913) Freiburg 2 Nov. 1913. Lieber Josef! Gestern abend hätt' ich Dich hier haben mögen! Ich habe Brahms' Deutsches Requiem gehört.*269 O! Die Herrlichkeit! Ein Künstler, so voll Kraft, so tief, reich, groß, so ganz deutsch! Ich muß bei ihm immer an Grünewald*270 denken. Stellen von wilder Größe, wo alles tobt und wirbelt, tiefe Traurigkeit, Trotz - und dann hat er, was auch andere seiner Art. Ein tiefes, gar zartes Gemüt, das nur meist nicht herauskann, weil der Kampf zu groß, weil das, was um es herum ist, zu stark und wild ist, - kommts aber einmal durch - wie der kurze Silberblick im kochenden Metall - dann ists von einer so zarten Schönheit, wie ein Wunder - ! Grünewald hats, Michelangelo*271, auch bei anderen hab ichs gefunden. Und an solchen Stellen schaut man dem Menschen tief ins Herz hinein; oft ists nur wie ein leises Lächeln, das vorüberhuscht, und bald ist die Stirn wieder finster; der Mund hart! Hat man es aber einmal gesehen, dann muß man ihn lieb haben, mit einer, fast möcht' ich sagen, sorgenden Liebe, dann hat man das Kind gesehen, unter dem schweren Panzer. 269 Brahms, Johannes (1833, Hamburg, bis 1897, Wien), Komponist und Pianist, schon zu Lebzeiten in ganz Europa bekannt, mit R. und C. Schumann befreundet, Kontakt zu F. Liszt, schrieb zahlreiche Orchester- und Klavierwerke (u.a. 4 Sinfonien, 3 Klaviersonaten) sowie geistliche und weltliche Vokalmusik (etwa 200 Lieder). »Ein deutsches Requiem« (1861-69) wurde 1869 im Leipziger Gewandhaus uraufgeführt. - Das Datum der Aufführung, 1. November, ist der katholische Feiertag Allerheiligen, während der folgende Tag Allerseelen der Gedenktag für die Toten ist (daher die Aufführung des »Requiem«). 270 Grünewald, Matthias (1480-1528), 1510 als Baumeister des Aschaffenburger Schlosses genannt, ab etwa 1511 Hofmaler in Mainz, gilt als einer der bedeutendsten deutschen Maler. Guardini besuchte tief beeindruckt sein berühmtestes Werk, den Isenheimer Altar in Colmar/Elsaß (vgl. Guardini, Unterscheidung des Christlichen, Mainz 1935, 408). Der dort auf den Gekreuzigten deutende Zeigefinger Johannes des Täufers wurde zum Signet des 1919 gegründeten Matthias-Grünewald-Verlags Mainz, dessen Verleger Richard Knies von Guardini beraten wurde und worin die Mehrzahl seiner Bücher erschien. 271 Michelangelo Buonarotti (1475, Caprese, bis 1564, Rom), Maler, Bildhauer, Architekt, Dichter, Ingenieur, einer der bedeutendsten Universalkünstler und -gelehrten. Guardini widmete ihm seine erste Veröffentlichung überhaupt: Michelangelo. Gedichte und Briefe. In Auswahl hg. u. übers. v. R. A. Guardini, Berlin 1907 (M 1). In der Bibliothek Mooshausen befinden sich: in der Reihe »Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben«, 7. Bd.: Michelangelo, Stuttgart/Leipzig 1906; und: Herman Grimm, Leben Michelangelos, 2 Bde., Berlin/Stuttgart o. J. | ||
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