Romano Guardini Online Konkordanz
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Diese Gestalten aber scheinen – und darin bestünde die zweite Bestimmung – einen vorwiegend ästhetischen Charakter zu tragen. Das braucht bei literarischen Schöpfungen nicht weiter betont zu werden. Auch in den philosophischen und theologischen Werken der Romantiker ist aber das Moment der Form wichtiger, als es sonst zu sein pflegt. Damit ist nicht nur gemeint, daß sie gut gestaltet sind, sondern daß der sie tragende Grundwille auf Hervorbringung von Wahrheitsgebilden, von Welt aus Wahrheitsstoff geht. Dieses Denken ist in einem Maße produktiv, daß es in seiner ganzen Haltung an das Schaffen von Kunstwerken erinnert, deren Sinn darin liegt, daß Stoffe und Kräfte in die Freiheit der Form gelangen. Ja sogar die soziologischen und politischen Leistungen der Romantik machen oft den Eindruck, als sollen nicht Wirklichkeiten sachgerecht gemeistert, sondern im Stoff des Menschenlebens und der Geschichte Gestaltungen hervorgebracht werden, deren Sinn in der Tatsache des Gestaltetseins selbst liegt, Schöpfungen um der Schöpfung willen. Dadurch enthält das Tun und Leisten des Romantikers leicht etwas Geistreiches, Glänzendes, Frei- Spielendes – aber auch etwas Irreales und Unverpflichtetes, auf das bei anders Veranlagten ein instinktives Mißtrauen antwortet.
Von all diesen Voraussetzungen her gesehen, würde die Romantik einen geschichtlichen Sonderfall darstellen.
Die vom Chaos durchflutete wäre zugleich eine unmittelbar gestaltende Zeit; und das Ineinander von Chaos und Form, Umbruch und Bauen, Gefahr und Bewältigung würde den einzigartigen Zauber – freilich auch die Fragwürdigkeit jener Erscheinung ausmachen, welche den Gegenstand dieses Vorlesungsringes gebildet hat.




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