Romano Guardini Online Konkordanz
Treffernummer:

 < Seite 163> 


Natur in sich. Mit dem Tiefsten seines Wesens aber ist er nicht "Natur". So steht er vor einer Entscheidung: Entweder er läßt die naturhafte Unabänderlichkeit nur über sich ergehen - dann ist das etwas, was in Wahrheit unter dem bloßen Naturgeschehen steht; etwas Dumpfes, Gebundenes. Ihm fehlt dann die Eindeutigkeit, die Selbstverständlichkeit, die "Reinheit" des bloßen Naturvorganges. Was da geschieht, ist eine Entwürdigung, ein Überwältigtwerden des höheren vom Tieferen. Oder aber der Mensch nimmt aus dem Standort seines Geistes heraus die Natur auf sich. Er bejaht sie als Ebene seines Daseins; als lebendigen Teil des eigenen Seinsbestandes; als Aufgabe; als tragenden Grund und als Stoff seines Schaffens; als Gewebe sichernder Instinkte und Gesetze. Zugleich aber sieht er sie als das, was sie auch ist: Gefahr, Zerstörung, Vergewaltigung; als dem Geist und seiner Bestimmung gegenüber Dämonisches. So gewinnt er die Kraft zur wahrhaft menschenmäßigen Stellung der Natur gegenüber: ja und nein zugleich zu ihr zu sagen; sie als Voraussetzung zu nehmen und als Aufgabe; als tragenden Grund und als Gefahr. Die Kraft, ihr zu gehorchen und sie zu überwinden; zu entsagen, sich loszulösen, und wiederum zu durchdringen und emporzugestalten.
Hier wurzelt die echte Realistik des Weltverhältnisses, von einem Kapitulieren vor der Natur ebensoweit entfernt wie von idealistischer oder dualistischer Weltabscheidung *9. Dies aber nicht in der Form einer Synthese oder eines Mittelweges, sondern als das eigentliche, erste, lebendige, wahrhaft konkrete Verhalten, von dem jene anderen nur Abspaltungen sind.

*9 Vgl. dazu auch die Lehrrede "Christlicher Realismus" [in: Unterscheidung des Christlichen. Band 2].



 < Seite 163>