Romano Guardini Online Konkordanz
Treffernummer:

 < Seite 151> 


von Goethe sagt*390, finde ich auch in meiner Art. (Du weißt, daß ich dabei an Goethes Dimensionen wahrlich nicht denke.) Ich fühle allmählich, was an mir wirksam ist: nicht geistiger Besitz, sondern geistiges Sein. Trotz aller Bücher und Bilder ..., im Grunde ist alles äußere doch nur Auslösung. Ich habe die Empfindung, daß alles drinnen liegt, daß es nur geweckt werden muß. Du weißt, wo allein ich begehrend stehe, als vor einem Garten voller Früchte, einer Welt voller Weiten und Tiefen... Das übrige, Gedanken, Kulturwerte, all das ist mir eigentlich nie ganz neu: bald klingt drinnen etwas an, und was erst bloßer äußerer Besitz schien, wird erwachendes inneres Sein. - Doch verzeih. Wüßte ich nicht, wem ich schreibe, ich müßte mich ja über all die Sachen schämen, die ich da schrieb.
Mittwoch.
In einigen Stunden fahre ich wieder nach Freiburg. Aber ich will wenigstens den Brief zu Ende bringen. Ich wollte eigentlich über »Liberalismus« sprechen. Neulich kam ich drauf, als ich die Pfingstsonntagnummer der Frkft. Ztg. durchlief. Ich verstehe nun, warum K. Weiss*391 in seinem »Offenen Brief« mit solch herzlicher Verachtung das Wort aussprach. Es ist etwas ganz charakterloses um diesen Liberalismus. Von seiner politischen Seite versteh ich nichts, aber als Kultur- und Weltauffassung erscheint er mir als ein Spielen mit allem, ein Genießen ohne Ehrfurcht, ein Haufen von Meinungen ohne feste Überzeugung, Philistertum mit aesthetisierendem Mäntelchen ..., etwas ganz, ganz Verächtliches! -
Schreib mir wieder bald, wo Du bist. Falls Du in der Schweiz bist, grüß mir P. Pl., und gib mir Deine und seine Adresse.*392 Empfehle Dir ein ganzes Bündel gravamina*393...

390 In der Bibliothek Mooshausen befinden sich: Georg Simmel, Goethe, Leipzig 41921; ders., Rembrandt. Ein kunstphilosophischer Versuch, Leipzig 1916. Guardinis Beschäftigung mit Goethe ist in diesen Jahren intensiv; sie dokumentiert sich auch in dem Mooshausener Band: Theodor Volbehr, Goethe und die bildende Kunst, Leipzig 1895, mit handschriftlichem Eintrag: »Mainz d. Fer. 1907.« und Stempel: Dr. R. Guardini. Vorhanden ist außerdem: Flodoard Freiherr von Biedermann, Chronik von Goethes Leben, Leipzig (Insel) 1931, mit handschriftlicher Widmung: »mit herzlichen Grüßen von der Rückfahrt. Romano. München 20.4.32.«
391 Weiß, Konrad (1880, Rauenbretzingen/Schwäbisch Hall, bis 1940, München), ab 1904 Redaktionssekretär der von Carl Muth gegründeten Zeitschrift Hochland; seit 1909 entstanden Tagebücher, Aufzeichnungen über eine Italienreise sowie das Kriegstagebuch, seit etwa 1914 die ersten Gedichte; 1920 Eintritt in die Redaktion der Münchener Neuesten Nachrichten. Weiß behandelte Fragen der sakralen Kunst, Dichtung und Architektur.
392 Wegen seiner Erkrankung scheint Weiger zusammen mit P. Placidus Pflumm OSB einen Kuraufenthalt in der Schweiz geplant zu haben.
393 Die Belastungen haben wieder mit dem Geschäft der Familie zu tun.

 < Seite 151>