Romano Guardini Online Konkordanz
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Funktionen übergehen. Begriffe wie Ehrfurcht, Pflicht, Schuld, Strafe, Sühne verschwinden.
Damit verschwindet aber auch die unmittelbare Bindekraft der familiären und staatlichen Ordnung. An die Stelle echter staatlicher Autorität tritt die Polizeigewalt; in letzter Konsequenz die Diktatur, die dem Einzelnen keine Freiheit mehr zugesteht, sondern ihn zur Erfüllung ihres Willens zwingt.
Auf Seiten der Einzelnen aber, bei denen die staatliche Ordnung keine religiösen Wurzeln mehr hat, entwickelt sich eine potentielle Anarchie, die jederzeit losbrechen kann. Das findet seinen Ausdruck in dem Begriff der »perennierenden Revolution« als des notwendigen Gegengewichts gegen die Herrschaft des Staates und ständigen Elements der politischen Geschichte.
Bei der Familie läuft der Prozeß umgekehrt. Vater und Mutter können der wachsenden Skepsis der Jugend nichts entgegensetzen. Sie sind entmutigt und fühlen, daß ihr bloß menschliches Sein gegen die innere Anarchie nicht aufkommt. So geben sie im Grunde genommen ihre Stellung preis, und die Familie zerfällt von innen her.
Es ist dann nur die Konsequenz aus dem gegebenen Zustand, wenn der Staat zugreift. Er sieht in der Familie nichts als die biologisch-soziologische Vorbedingung dafür, daß Kinder geboren und gepflegt werden, und nimmt diese, so bald als möglich, in eigene Regie.



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