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So fordert sie eine ständige Zucht und Verzicht auf alle Willkür. Darüber braucht nicht weiter gesprochen zu werden. Wer aber solcherweise von der Kirche her denkt, läuft Gefahr, die Fülle der konkreten Einzelheiten in Geschichte und Gegenwart zu übersehen oder ihnen Gewalt anzutun. Von der Theologie wird aber auch gefordert, daß sie die konkreten Gegebenheiten voll im Auge behalte. Sie muß die Tatsachen von Geschichte und Erfahrung genau so nehmen, wie sie sich darbieten. Daraus entspringt eine Spannung zwischen der deduktiven Richtung vom Ewigen, vom Dogma, von der Kirche, und der induktiven von der konkreten Eigenart der Tatsachen und Erscheinungen her. Hier liegt das über alltägliches Maß Hinausgehende der katholischen Theologie. Aus der Spannung zwischen dem Ewigen und dem Zeitlichen, aus dem Zwang, beides zugleich in etwa wenigstens am Bewußtsein zu halten, kommt ihre Fruchtbarkeit. Die gleiche Spannung macht aber auch das theologische Denken so verzehrend, daß nur unbegrenztes Vertrauen in die Wahrheit es ertragen kann; denn die Wahrheit ist nur eine, mag sie nun vom Ewigen oder vom Zeitlichen her gesehen sein. Diese Haltung gibt erst die große, ihres Gegenstandes allein würdige Gelassenheit. Ich glaube, Newman war es, der gesagt hat, Glauben heiße »Probleme ertragen zu können«. Glauben heißt, so verankert sein in der Überzeugung der ewigen Wahrheit, und diese Wahrheit so göttlich groß sehen, daß man der Spannung ruhig standhalten kann, wie sie aus dem Zusammenprall deduktiv-dogmatischer Sätze und induktiv gesehener Erscheinungen entsteht. Daß man sie nie durch gewaltsame Operationen beseitigt, die immer auf Kosten einer der beiden Seiten gehen, sondern warten kann, bis die Probleme sich lösen, wenn nicht heute, dann in Jahren; wenn nicht in Jahren, dann in Jahrhunderten. Denn wer im vollen anselmischen Sinne Theologe sein will, muß wissen, daß er nicht aus Ich und Gegenwart heraus, sondern aus der Kirche und ihrer, das ganze Aevum umspannenden Tradition her denken muß. Daß er nicht autonomer Gesetzgeber und persönlicher Schöpfer, sondern selbstloses Organ sein soll. | ||
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