Romano Guardini Online Konkordanz
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Auf Gottes Erbarmen und gänzlich unverdientes großmütiges Schenken erwidert von unserer Seite das selbstvergessende Vertrauen, die Demut, die sich ganz übersieht, um des alles bedeutenden Gottes willen, - auf Gottes Vertrauen hin erwacht alle Kraft, um diesem Vertrauen mit Treue zu antworten. -
Jenes hat seine Richtung mehr auf Gottes Gnade, dieses auf die eigene Kraft -
Jenes ist die Grundstimmung, aus der der christliche Pessimismus erwächst (ich sage der christliche, positive, wahre, nicht heidnisch-moderne Verneinung, Müdigkeit und Überdrüssigkeit; Du verstehst, nicht wahr?); der sieht, wie nichtig der Mensch ist, wie gering seine Kraft, wie groß die negativen Momente in ihm. So wirft er mit einem heroischen Akt den Mittelpunkt seines ganzen Lebens, die Quelle der Kraft in Gott hinein, die gotischen Kathedralen sind ein Symbol dafür. - Dieses ist die Stimmung, aus der der christliche Optimismus kommt, der die Kräfte und den Adel sieht, der doch im Menschen ist, und den auch die Erbsünde nicht ausrotten konnte (nobilissima creatura ist der Mensch, sagt Bonaventura*189), und so erwacht der Wille, alles aufzubieten, um für Gott, der alles gibt, auch alles zu leisten.
Das hat die Gefahr des Immanentismus, der Überschätzung der Natur, des Rationalismus (vielleicht geht der Pelagianismus*190 daraus hervor und andere Irrungen), das ist sicher; aber die andere Seite hat auch ihre Gefahr.
Mir scheint, daß beides zusammengeht in der Liebe. Gottes Liebe ist Erbarmen und Hochschätzung, Großmut und Vertrauen - und unsere Liebe ist Vertrauen und Treue; Selbstvergessen und Selbstanspannung. (caritas vinculum perfectionis*191)
Sag mir bitte, was Du davon denkst; ich möchte vielleicht diese Gedanken einmal ausarbeiten, etwa in einem Dialog. Besonders möchte ich wissen, was Du über die Verwertbarkeit im täglichen Leben denkst. Der Gedanke des »Vertrauens Gottes in mich» gibt dem christlichen Leben einen ganz besonderen starken, frohen Ton, der, scheint mir,
189 Bonaventura, Johannes Fidanza (1221, Bagnoreggio, bis 15.7.1274, Lyon), Kirchenlehrer, Heiliger, bedeutendster Vertreter der älteren Franziskanerschule, neben Thomas von Aquin größter Theologe der Scholastik. Werke: Commentarii in IV libros Sententiarum Petri Lombardi; Quaestiones disputatae de perfectione evangelica; Breviloquium; De reductione artium ad theologiam; Itinerarium mentis in Deum; Collationes in ­Hexae­meron.
190 Vgl. Br. 2.
191 Kol 3,14: »Die Liebe ist das Band der Vollkommenheit.«

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