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143. Brief vom 27.09.1931, Isola Vicentina. Isola Vic. 27. Sept. 1931 Lieber Joseph für Deinen Brief herzlichen Dank, und nun berichte ich einiges von mir. Ich bin seit zwei Wochen in Isola, und fest in der Arbeit. Die Vorbereitung für das Kolleg über die Confessiones und das über den Zarathustra muß hier fertig werden. Ich habe mich für den Winter richtig übernommen - außer dem Genannten noch das Kolleg über das eschatologische Moment im neutestamentlichen Bewußtsein und das Hölderlinseminar!*951 Aber nun hilft nichts mehr, und ich muß sehen, wie ich durchkomme. Was für ein Übergang jedesmal von Nietzsche zu Augustin!*952 Du hast schon recht: er verstört einem jedesmal vorerst den Sinn für das Christliche. Meine Frage ist aber: Ist das, was Nietzsche ausspricht, nur Irrtum? Und worin besteht möglicherweise das Positive darin? Seine Grundthese ist ja doch der Satz der Vorrede, »Gott ist tot«. Gibt man nun vor, was eine neue Erkenntnis auf diesem Gebiete immer an Falschem und Schlimmem gleichsam als Brecheisen braucht, um durchzukommen - worin könnte dann das Positive liegen? Was ist der Sinn des Atheismus, wenn er aus hochstehender Gesinnung kommt? Nicht vielleicht der, darauf aufmerksam zu machen, daß Gott und »Gott« zweierlei sind; und daß der wahre Gott nur mit einer Reihe von Aussagen ausgesagt werden kann, unter denen auch die steht, »Gott ist nicht«? Gehört diese Aussage nicht zur Integrität des religiösen Bewußtseins, sobald es innewird, was es und was die allgemeine Redeweise eigentlich sagt, wenn es sagt, »Gott sei« - wobei die Inhalte dieser Aussage eben konkrete, Ergebnisse der ganzen Fragwürdigkeit des religiösen Daseins, so wie es ist, darstellen? Denn die Aussage: »Gott ist nicht« bezieht sich doch nicht auf den abstrakten Begriff Gott, sondern aus [auf?] das, was der 951 Vorlesungsankündigung WS 1931/32: Das eschatologische Moment im christlichen Bewußtsein nach dem Neuen Testament, Montag 19-20 Uhr; Die Bekenntnisse des heiligen Augustinus (als Einführung in seine geistige Welt), Dienstag 19-20 Uhr; Endlichkeit und Ewigkeit. Versuch einer Interpretation von Nietzsches Zarathustra, Freitag 19-20 Uhr; Religionsphilosophische Übung zu einem noch zu bestimmenden Gegenstand, Donnerstag 18-20 Uhr (M 361). 952 Zur durchgängigen Auseinandersetzung Guardinis mit Nietzsche vgl. GF 330-335. | ||
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