Romano Guardini Online Konkordanz
Treffernummer:

 < Seite 89> 


Wird Freiheit im allgemeinen psychologischen Sinn aufgefaßt,
so ist selbständig jenes Individuum, das auf Grund eigenen Antriebs und eigener Entscheidung handelt. Diese psychologische Selbständigkeit steht naturgemäß im Gegensatz zu jeder Art von Forderung (Gesetz, Autorität), die vom Individuum verlangt, nach objektiver Norm, nach fremdem Ermessen zu handeln.
Sobald aber der Begriff der bloß psychologischen Freiheit durch Kritik am Objekt wie am Subjekt zum Begriff der ethischen Freiheit wird, erhält auch der der Selbständigkeit einen neuen Inhalt. Sittlich selbständig ist jenes Subjekt, das den rechten Gebrauch von seiner psychologischen Freiheit macht. Es ist um so selbständiger, je vollkommener sein innerer Trieb mit dem Sittengebot harmoniert, je besser sein Wille, je sicherer sein sittliches Urteil ist und je zuverlässiger es die getroffene rechte Entscheidung festhält. Auf dieser Stufe des Begriffes ist auch der Gegensatz zwischen Subjekt und Gebot prinzipiell verschwunden. *20
Es darf als die pädagogische Aufgabe schlechthin bezeichnet werden, diesen Gegensatz auch praktisch zum Verschwinden zu bringen: die psychologische Freiheit ethisch zu bilden; den psychologischen Selbständigkeitstrieb allmählich zur ethischen Selbständigkeit, zum »Charakter« umzuformen. Die Erörterung dieses praktischen Problems würde hier zu weit führen. Die Prinzipien dafür sind aber in den vorstehenden Überlegungen entwickelt.

*20 Von hier aus versteht man die Wahrheit des alten theologischen Satzes, daß Freiheit im endgültigen Sinne das »non posse peccare« sei, die Unfähigkeit zu sündigen.




 < Seite 89>