Romano Guardini Online Konkordanz
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worden, wer hat hier schon gesessen!*233 Es ist klein, aber traulich. In der ersten Zeit sah es ganz abenteuerlich aus. Da hatten wir es selber mit Sackleinen tapeziert, denn wir hatten das Gefühl, das sei modern und originell. Es kam eine Art von Indianerzelt schließlich heraus, und daß die ganze Geschichte nicht einmal Feuer fing, ist nur sehr zu verwundern. Aber uns wars wohl darin. Nebenan hatte Bruder Gino sein Atelier, da stehen Modelliertisch und Gipsgüsse herum.*234 Jetzt ist er Kaufmann. Hier in meinem Zimmerchen ist alles voller Bücher und Bilder und Statuetten. So ein wenig eine Rumpelkammer, in der sich die Überreste meiner verschiedenen »Zeiten« abgelagert haben. Sehr theologisch siehts gerade nicht aus, wenigstens nicht auf den ersten Blick. Aber es soll so bleiben. Und ich freue mich beim Gedanken, daß ich es Dir vielleicht einmal zeigen kann.
Nun aber will ich Dir ein wenig von meiner Reise erzählen. Ich war mit Herrn S.*235, also nicht selbständig, denn er hatte bestimmte Zwecke. In Beuron blieben wir einige Tage. Die hübscheste Erinnerung ist mir eine Kahnfahrt, die ich mit P. Placidus auf der Donau machte. Die Photographien sind da entstanden.
Von da gings nach München; da traf ich kurz mit Hermann Hefele zusammen. Es war zu kurz, um einen Eindruck zu bekommen. Aber mir scheint, daß er doch immer ruhiger wird, und vor allem arbeitet er mit einer unglaublichen Zähigkeit an einem Werk, das sicher keine Sensationen bietet, nämlich schon seit glaub' ich 5 Jahren an der historischen Karte von einem Stück von Württemberg. Es soll einen Band von über 1000 Seiten geben.*236 Mich freut an all dem besonders die nüchterne Arbeit.
Übernachtet haben wir in Regensburg. Am nächsten Tag bis Prag. P. Odilo*237 empfing uns sehr lieb. Die Stadt hat mir wohl gefallen, am meisten, muß ich schon sagen, St. Gabriel.*238 Das ist wirklich ein
233 Dort traf Guardini in einem Gespräch mit Karl Neundörfer 1905 die Entscheidung zum Glauben; BL 71f.
234 Ferdinando (genannt Gino) Guardini (1887, Mainz, bis 1946, Mailand), der zweite der vier Brüder, wurde bildender Künstler mit späterem Atelier in Mailand; Werke von ihm befinden sich in der Villa Guardini in Isola Vicentina.
235 Wilhelm Schleußner (Br. 1); über die Reise nach dem Tod seiner Gattin Josephine auch in BL 101. Werke: Br. Bardo (Pseud.), Deutsche Gebete. Wie unsere Vorfahren Gott suchten, Freiburg 1916 (BM); Mechthild von Magdeburg, Das fließende Licht der Gottheit, hg. u. übers. v. W. Schleußner, Mainz 1929 (BM).
236 Vgl. die neue Ausgabe: Hefele, Herman u.a., Fahr mit in die Welt. Erdkund­liches Arbeitsbuch I: Deutschland, Frankfurt u.a. 1970.
237 P. Odilo Wolff OSB, ursprünglich Beuron, war damals Prior des Emaus-Klosters in Prag; Verfasser mehrerer Bücher zur Beuroner Kunst.
238 Die Abtei St. Gabriel wurde 1889 in Prag-Smichov als erstes Frauenkloster der ­Beu­roner Benediktinerkongregation (monastisch-kontemplativ) gegründet und im Stil der Beuroner Kunst gestaltet. Der Zerfall der Donaumonarchie und das Entstehen der tschechoslowakischen Republik nach dem Ersten Weltkrieg ließ die überwiegend deutschsprachige Gemeinschaft auswandern auf Burg Bertholdstein in der Oststeiermark nahe der ungarisch-slowakischen Grenze (Januar 1919).

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