Romano Guardini Online Konkordanz
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Darauf stützt sich das Evangelium und sagt: Schaffe dir Freunde auf Erden. Der Besitz, der unauslöschlich ungerechter Besitz ist, den du in den Zustand der Gerechtigkeit gar nicht heben kannst - trage ihn in die Ordnung der Liebe. Nicht aus eigener Kraft, Christus schenkt dir, daß du es könnest. Christus schenkt dir, daß du den Mammon, den du nicht gerecht machen kannst, zum Diener der Liebe machen könnest. Damit schaffe dir Freunde, das heißt: Hilf, gib, schenke, um Christi willen, in der Glaubens- und Sinneseinheit mit Ihm; auf Ihn hin, von Ihm her. Innerlich Ihn berührend, hilf deinem Mitmenschen. In diesem Tun wird der andere mit dir verbunden sein. Es wird eine Solidarität entstehen zwischen dir und ihm. Dir war sein Schicksal nicht gleichgültig; er wird das deinige als ihm zugehörig nehmen. Und wenn er es selbst jetzt nicht tut, hier auf Erden, wo er in der gleichen Blindheit steht wie du, in der Vereinzelung, in der Zerrissenheit des Daseins - einst, im Liebeslicht Gottes wird es ihm zu Bewußtsein kommen. Und dann im Gericht, wenn du allein bist, ohne Hilfe, ohne Deckung, wird er sich neben dich stellen. Er wird sich auf das neue Gesetz der Liebe berufen. Wird zu Christus sagen: Herr, dieser hat sich meiner angenommen, als ich allein war. Nun, da er allein ist, stehe ich zu ihm, und wir sind eins. Und dort, wo aufgehoben ist, was er beigetragen zum Reich deiner Liebe, dorthin nimm ihn auf, »in die ewigen Wohnungen«.
Nun werden wir wohl kaum noch den Mut haben, von einer Primitivität zu sprechen. Vor dieser Hoheit und Fülle verblaßt alle bloße Ethik. Aus dieser ganz realistischen Beurteilung des Daseins, ohne jeden Respekt für unsere Geistigkeiten und Idealitäten; aus einer scheinbaren Primitivität des Ansatzes führt die Linie auf die letzte Höhe. Nehmen wir diese eigentümliche Spannung tief in unseren Sinn auf. Wenn wir sie verstehen, haben wir viel davon verstanden, wie die Heilige Schrift überhaupt, wie das Christentum den Menschen sieht, und wie es ihn »in Tat und Wahrheit« befreit.



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