Romano Guardini Online Konkordanz
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erschöpfende Bearbeitung sämtlicher Handschriften, ihre Verwandtschaftsgruppen und Geschichte festzustellen und auf ihnen sowie auf den Schriftmaterialien der Väter die älteste erreichbare Textgestalt des N.T. festzustellen. Eine Dame gab ihm das Geld, fast eine halbe Million; 44 Gelehrte arbeiteten nach seinen Plänen in aller Welt das Material zusammen, und er selbst verarbeitete den Riesenstoff zu drei großen Bänden. Nach sechzehn Jahren sind sie kürzlich zu Ende gekommen; er hat sie »seiner Freundin«, wie das Titelblatt sagt, gewidmet, die bis zuletzt geholfen und gegeben hatte, und ganz kurz darauf ist er gestorben. Es ist wie bei Frau Schleußner: fertig gemacht! Da hält man innerlich still, wie vor etwas Großem. -
Ich war auch im Parsifal. O, lieber Josef, wie ist der schön und groß! Die sechs Stunden vergingen wie ein starker, tiefer, nie sinkender Ton. Ich muß manches Urteil über Wagner ändern, da er das fertig gebracht hat. Zweimal, an zwei Sonntagen hintereinander hab ich ihn gehört, war mit ungünstigem Vorurteil hingegangen - ja, was soll ich sagen; beidemal hat er mich besser gemacht, hat mich beten gemacht. Wenn's nur gelingt, will ich niederschreiben, was ich aus ihm herausgehört habe, und schicke Dirs dann.*346 Ich kann mir nicht helfen, es ist ganz tiefes Christentum. Sag mir Du dann, ob es wahr ist, ob ich nicht klar genug sehe. Bis dahin hielt ich ganz anderes von Wagner, Du weißt es; aber jetzt muß ich umlernen. - Freilich hat er tausendmal recht, daß der Pars. nicht auf die Dutzendbühne gehört; aber sag, ist das nicht schließlich die Forderung für jedes große Kunstwerk? Wird »das Volk«, an das jedes sich wendet, das jedes sucht, nicht immer eine unerfüllte Sehnsucht bleiben, und in Wahrheit immer nur Einzelne sein, die ihm ihr Herz auftun? Und soll man, um der Hoffnung willen, solche zu finden, nicht auch das Größte Werk zuversichtlich hinstellen? »Die Einzelnen und die Vielen«, das ist wahrlich eine schwere Frage für einen, der die Menschen, aber auch die Werke lieb hat!, der jenen alles Gute geben, aber diese auch nicht profaniert sehen möchte!
R. Saitschick hat kürzlich ein Buch erscheinen lassen: »Philosophie ohne Umschweife«.*347 Auer*348 sagte mir, S. kenne keinen Menschen, so wisse er nicht recht, an wen sich um Rezension wenden. Da habe ich ihm gesagt, Du würdest vielleicht eine solche übernehmen. Was ich bei ganz flüchtiger Einsicht in das Buch sah, läßt mich glauben, es werde Dich interessieren. Sag also, ob Du einverstanden bist.

346 Der Text wurde erst 2006 veröffentlicht; vgl. Br. 33 und 45
347 Robert Saitschick, Der Mensch und sein Ziel. Eine Lebensphilosophie ohne Umwege, München 1914; vgl. Br. 20, 46, 66, 70.
348 Vermutlich Heinrich Auer, Lektor bei der Caritas-Druckerei Freiburg; vgl. Br. 32.

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