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Und wie notwendig ist diese Zucht! Im Augenblick, bei bestimmten Gelegenheiten mag sich das Gefühl stärker ergießen. Ein Gebet aber, das für den Alltag und für die Gesamtheit bestimmt ist, muß maßvoll bleiben. Setzt es stark angespannte, unausgeglichene Gefühle voraus, so schließt es eine doppelte Gefahr in sich. Entweder es wird vom Betenden ernst genommen: dann muß er sich zu Empfindungen zwingen, die er überhaupt nicht, oder jetzt nicht hat. Das kann sein geistliches Fühlen unnatürlich, unwahr machen. Oder aber die Natur hilft sich, nimmt die Sätze in einem kühleren Sinn, als sie dastehen, und dann ist das Wort entwertet. Wohl soll das geschriebene Gebet auch erziehen, also zu höherem Empfinden emporbilden. Aber der Abstand von der durchschnittlichen Gefühlslage darf nicht zu groß werden. Soll ein Gebet auf die Dauer und für eine Gesamtheit brauchbar und fruchtbar sein, so muß es auf einen wohl starken und tiefen, aber doch ruhigen Ton gestimmt sein. Es gelten hier die wunderbaren Verse des Hymnus, kaum übersetzbar in ihrer durchsichtigen Klarheit: Laeti bibamus sobriam Ebrietatem spiritus *5 ... Gewiß darf man dem geistlichen Empfinden nicht mit der Elle sein Maß zuteilen; aber wo der schlichte Ausdruck genügt, soll man nicht den übersteigerten setzen, und die einfache Redeweise ist stets besser als die beladene. Weiter sagt die Liturgie auch manches darüber, welcher Art die Empfindungen sein müssen, wenn die betreffende Gebetsform für die Dauer und die Allgemeinheit fruchtbar sein soll. Nicht zuviel ausgesuchte, besondern Gebieten der Glaubenswelt entstammende, sondern die menschlichen und geistlichen Grundgefühle, wie sie z.B. die Psalmen so klar aussprechen: Anbetung, Verlangen nach Gott, Dank, Bitte, Furcht, Reue, *5 Brevier des Benediktinerordens, Laudes (d.h. Gebet der Morgendämmerung) vom Dienstag. Wörtlich: „Froh laßt uns kosten die nüchterne Trunkenheit des Geistes.“ | ||
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