Romano Guardini Online Konkordanz
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Siehst Du, ich habe hier das Gefühl, wirklich an die letzten Fragen zu rühren, und es ist eine tief beunruhigende Situation, nichts ausdenken zu können. Damit Du die Konsequenzen besser siehst: Die Diskussion von Idee und Ich führt auf die Phaenomenologie des Geistes - und Gottes.*517 Nun denke Dir: Gott ist das absolute, echte Sein - und: Gott ist die absolute »Gesinnung«. Was das bedeutet für die Grundlegung des christlichen »kontemplativen« und »aktiven« Lebens! -
Ich merke auch allmählich, worauf die Gegensatzlehre im Grund hinauswill. Sie ist das Handwerkzeug für eine »Philosophie des Konkreten«; im letzten: für eine »Philosophie des Geistes«. -
Der Artikel von Simmel s. Z. hat auf mich einen sehr nachhaltigen Eindruck gemacht.*518 Seine Formel ist mir fest geblieben (sie ist übrigens ein Stück aus der Gegensatzlehre.).
Eins wird mir klar: eine kolossale Aufgabe stellt die Zukunft: für deutsches Wesen eine wirklich geborene Form zu schaffen. Überdenke sie einmal in ihrer Ausdehnung: Kunst, Staat, Literatur, religiöses Leben...*519
Nun sag ich mir: Gelingt es, und Ansätze sind schon da, dann ersteht etwas Riesenhaftes. Aber einsam in der Welt, und für die Anderen fast unverständlich. Wie ein nordisches Göttermal auf der Heide. Wie aber geht das mit Deutschlands Weltmission? - Muß also nicht, schon um die Brücken zu den anderen nicht abzubrechen, ein gewisses Maß romanisch-klassischen Wesens aufgenommen werden?
Dann, und das fühl' ich oft fast körperlich und hab manche zerwühlte Stunde davon: Unser ganzes katholisches Leben, nach Begriffswelt, Kult, Verfassung, überhaupt in seiner inneren Haltung, ist ganz mit der überkommenen klassischen Mentalität verwachsen.

517 In dem vorangehenden Brief vom 10. April 1916 an Heidegger (ebd., 69) schreibt Guardini: »Zu der Frage einer ?Phänomenologie der Idee? habe ich ziemlich viel Material gesammelt. Ich kam darauf, als ich fand, daß der Begriff des ?Gewissens? vielfältig ist, insbesondere seine Stellung zu Urteil und Willen.«
518 Möglicherweise: Georg Simmel, Die Gegensätze des Lebens und der Religion, 1904.
519 Vgl. die spätere Abhandlung Guardinis: Thule oder Hellas? Klassische oder deutsche Bildung?, in: Der Wächter 3 (1920), 2-16; 66-79 (M 52).

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