Romano Guardini Online Konkordanz
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Wie versteh ich so gut, was Dich in unserer engeren Welt drückt! Spüre es ja selbst am eigenen Leib, wirklich oft bis ins Physische hinein. Und ich sollte doch meinen, daß ich mich gewöhnen müßte; dabei spüre ichs immer stärker.
Nur, weißt Du, und das wünsche ich auch Dir: an Stelle der leidenschaftlichen Opposition tritt immer mehr eine in sich selbst gewisse Einsicht: »so ist es; soweit geht das Unrechte; so soll es sein«. Und zugleich ein kühles, aber festes Bewußtsein: unsere Zeit kommt: Einmal werden auch wir, aus unserer Einsicht in das Wesen und den Willen der Kirche heraus, und aus unserer Liebe zu ihr, unser Wort mit Befugnis und Autorität sprechen dürfen. Und je ruhiger wir bis dahin geworden sind, desto überzeugender wird es sein.
Sieh, darum freut mich auch der Aufsatz. Er ist geschrieben aus Ernst und Einsicht heraus, aber ohne blinde Opposition. Und so aktuell er mir ist, ich glaube, ich kann ihn ruhig liegen und noch reifen lassen.
Darum freut mich auch Deine Unterscheidung zwischen Seins- und Werturteil so sehr. In ihr sammelt sich die ganze glückliche Umlagerung, die in Dir vorgeht. An ihr erkenne ich, wie gesund Deine Seele ist. Gerade daß sie jetzt, nach so viel bitteren Erlebnissen, sich anschickt, Klarheit und Formruhe über sich selbst und ganz aus sich selbst zu gewinnen, ist der Beweis dafür, wie zeugekräftig und zukunfts-gesund sie ist.
Ich glaube, die Umlagerung ins Gebiet des Seinsurteils wird Dir allmählich die Lebensruhe, die Heiterkeit und Gelassenheit des Zusehenkönnens geben, nach der Du verlangst.
Ein andermal mehr. Auch darüber, daß ich meinen Buben*568 Untersek. - Oberprima in den letzten 4 Tagen Exerzitien gegeben habe, auf meine Art. Bin jetzt freilich ein bischen marode.
B'hüt Gott!
Romano
I. 10. 16.


568 Guardini leitete von 1915 bis 1920 die Mainzer Jugendgruppe für Gymnasiasten »Juventus«; sein Notizbuch mit den dort behandelten Themen ist erhalten;
s. GF 107-112.


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