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Trauer über die Vergänglichkeit und Vergeblichkeit des Irdischen, klingt zusammen mit der Lehre vom Werden durch die Entsagung. Darin, daß wir dieses Geheimnis verstehen und am Bild der Toten lernen, „die ältesten Schmerzen uns fruchtbarer zu machen“, offenbart sich die Einheit. Und dann wird ein solcher „seliger Fortschritt“ genannt, deraus Trauer entsprungen ist: Ist die Sage umsonst, daß einst in der Klage um Linos wagende erste Musik dürre Erstarrung durchdrang; daß erst im erschrockenen Raum, dem ein beinah göttlicher Jüngling plötzlich für immer enttrat, das Leere in jene Schwingung geriet, die uns jetzt hinreißt und tröstet und hilft. 91–95 Die Sage erzählt, daß einst ein Jüngling lebte, den alle seiner Schönheit wegen liebten, Linos. Er starb früh, und sein Tod brachte über alle, die ihn kannten, „dürre Erstarrung“. Eine „Leere“ entstand: die Leere des Weggegangenseins, des Nicht-mehr- habens. In der Anmerkung zu seiner Übersetzung von Maurice de Guérins „Kentaur“ spricht Rilke von der „Legende derer, die früh hingegangen sind“. Es ist „der Ruf hinter ihnen, der alte, in der Natur hinsuchende Ruf –: das Linos-Lied, in dem sie beisammen sind und einander nicht sehen.“ *39 Dieser leere Raum war „erschrocken“. Wieder die innere Dimension des Äußerlich-Seienden. Nicht nur: im Raume waren erschrockene Menschen, sondern: die Innigkeit des Erlebens macht, daß der leer gewordene Raum selbst erschrocken war. Und er „geriet in jene Schwingung“, die „Musik“ heißt. Dieses Schwingendwerden, dieses Tönen und Singen aber war Orpheus: „ein für alle Male/ists Orpheus, wenn es singt.“ Seitdem ist Musik da, die „uns jetzt hinreißt und tröstet und hilft.“ *39 W VI 68f. | ||
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