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Nerven gehts gut. Die Krisis ist vorüber, und ich hoffe auf einen ruhigen Winter. (Freilich muß ich brav sein mit Essen, Schlafen, Frühzubettgehen u.s.w., lauter löbliche Sachen, die ich Dir auch recht empfehle.) Im Ganzen kann ich doch sagen, daß die Gesundheit sich in den letzten Jahren gekräftigt hat, und die Arbeitsfähigkeit zugenommen. Auch bin ich viel kühler und ruhiger, reg' mich nicht so leicht auf. Den Eltern gehts ordentlich. Freilich bringt das Alter allerlei Beschwerden, aber doch nichts Besonderes. Mit dem Geschäft scheint es auch besser zu gehen. - Neulich begegnete ich etwas sehr Schönem. Im Faust fiel es mir auf, daß Faust, wie er allem flucht, was ihm bisher teuer war, wie er alles zusammenschlägt, um sich in die Gewalt Mephistos zu geben, zuletzt, gleichsam wie das allergrundlegendste, die Geduld verflucht.*317 Und dann fiel mir ein, daß Raabe eine wunderbare Gestalt hat, eine Mutter, die einsam im Walde sitzt, auf ihrem Gute, und auf ihren Sohn wartet, der durch die Welt gehetzt wird, Jahr um Jahr, und er nennt sie »Unsere Liebe Frau von der Geduld«*318 - da wurde mir klar, wie die Geduld etwas so ganz Tiefes ist, die Fülle der Kraft, des Lebens, die Wurzel alles wirklichen Schaffens, auch Lebensschaffens, und vielleicht niemand so wesenseigen, wie der Mutter. Und gerade die Geduld, die wartet, die nichts tun kann, ist in ihrer lautlosen Kraft vielleicht das Höchste, was es an Siegen gibt, die Vollendung dessen, was selbst den Charakter der Vollendung hat, der Hoffnung. Glaube und Liebe kann man in besonderer Weise mit besonderen Seelenkräften in Beziehung bringen, mit Erkennen und Wollen. Die Hoffnung nicht, denn sie ist des Glaubens und der Liebe, des Erkennens und des Wollens Vollendung. Sie ist splendor veritatis, splendor bonitatis*319, wie die Schönheit. Ihre tiefste Bewährung aber ist die Geduld. - Seltsam, vor einem Jahr um dieselbe Zeit schrieb ich Dir im gleichen Zimmer vom Gleichen, weißt Du noch?*320 Wie viel liegt auch für mich zwischen damals und heut! Herzlichste Grüße! Dein Romano. 317 Faust I, 1605f.: »Fluch sei der Hoffnung! Fluch dem Glauben! / Und Fluch vor allen der Geduld!« 318 Die Figur findet sich in: Wilhelm Raabe, Abu Telfan oder die Heimkehr vom Mondgebirge, Stuttgart 1868, Kap. 34. 319 »Glanz der Wahrheit, Glanz des Guten«: Abwandlung eines Zitats von Thomas von Aquin. 320 Br. 15. | ||
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