Romano Guardini Online Konkordanz
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77.
Brief vom 31.07.1918, Mainz.
Lieber Josef,
Es ist Abend; hoffentlich stört mich nichts, mit Behagen vorliegende Epistel zu schreiben.
Am Montag bin ich also angekommen, mit einiger Verspätung, weil der Zug infolge Fliegergefahr zweimal liegen bleiben mußte. Sonst hat alles gut geklappt. Geschlafen habe ich im Bahnhofshotel in U.*633, nicht gerade glänzend, aber es ging. Wie ich hierher kam, war Dms Par.*634 bereits abgedampft, zur großen Erleichterung des Hauses. Ich war auch nicht böse darüber. Trotzdem waren die folgenden Tage recht übel. Ich hatte wieder eine Schwermutskrisis durchzumachen wie s. Zt. in Fr.*635 Dazu übermäßig viel Arbeit, was aber vielleicht ganz gut war.
Jetzt ists wieder besser. (Gesundheit auch gut!) Heute war ich beim Generalvikar*636, habe bei der Gelegenheit auch Deine letzte Nachricht verwertet. Er scheint die Sache inoffiziell und gütlich beilegen zu wollen. (Dms. Par. hat auch bereits einen Bericht gemacht). Das wäre auch mir das liebste, schon deshalb, weil ich doch nicht von hier fort möchte. Man kommt leicht aus dem Regen in die Traufe. -
Nach diesen Bemerkungen »zur Lage« sage ich euch allen meinen herzlichsten Dank für alle Liebe und Gastfreundschaft. Ihr versteht diese hohe Kunst. Es war sehr, sehr schön, trotz all dem schweren Ärger! Die Erinnerung an das liebe Heim hinter dem Klematisbogen und den Frieden und die Güte drinnen steht mir gar hell in der Erinnerung. (Wenn ich es machen kann, komme ich im Herbst wieder. Ob es freilich möglich sein wird, steht dahin.)
Diesmal ist es mir recht zu Bewußtsein gekommen, daß das Leben mehr ist als die Gedanken. Und mir scheint, als ob ich selber auch auf dem Wege wäre, beides in ein richtigeres Verhältnis zu rücken. Du hast, denke ich, es bereits gründlich getan.

633 Vermutlich Ulm, als nächste größere Bahnstation nach Memmingen. Es handelt sich um die Rückreise von einem Besuch in Mooshausen.
634 Dominus Parochus = der Pfarrherr von St. Peter, Mainz.
635 Freiburg im Breisgau; Guardini schreibt von einer Krisis vor der Priesterweihe, vgl. BL 76f.
636 Ludwig Bendix. Die Anspielungen auf »die Sache«, offenbar in der Pfarrei, sind nicht aufzulösen.

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