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Madeleine Sémer I. Im Mai 1921, vor fünfzehn Jahre also, starb in Paris eine Frau, deren hier gedacht werden soll. Ich weiß nicht, wie sie geheißen hat, nur daß ihr Vorname Héloise lautete. So muß als Name jener gelten, den ihr Biograph Felix Klein in seinem Buche vorangestellt hat: Madeleine Sémer *1. Ihre Eltern stammten aus Südfrankreich. Ihr Vater war Ingenieur und durch seinen Beruf viel auf Reisen. Sie wurde in Genf geboren. Der häufige Wechsel des Aufenthaltes brachte etwas Unstetes in ihre Erziehung. Der Unterricht wurde immer wieder unterbrochen, so daß die reiche Bildung, die ihre Freunde später an ihr schätzten, aus eigener Kraft und unter oft schweren Verhältnissen errungen werden mußte. Madeleines Mutter war viel krank und starb früh. So konnte sie schon in jungen Jahren zeigen, was an Liebeskraft in ihr war. Diese Kraft war groß - und es soll schon jetzt hervorgehoben werden, wie sehr ihr ganzes Wesen unter dem Primat des Herzens gestanden hat. Ein Wort aus späterer Zeit, da sie, sechsunddreißig Jahre alt, auf ihr Leben zurückblickt, zeigt es mit schöner Klarheit. Sie schreibt in ihr Tagebuch: "Gestern habe ich mich selbst durchmessen, den Bestand meiner Kräfte aufgenommen und festgestellt, daß ich das Genie des Herzens besitze; den Trieb, die Anderen um ihrer selbst willen zu lieben; die Lust an der Freude, die ich dem Anderen gebracht; das Verlangen, selbst die zu sein, die versteht, verzeiht, tröstet und beschützt, mehr als das Verlangen, für mich Verständnis und Verzeihung zu finden usw. Ich bin zu den *1 F. Klein, Une expérience religieuse; Madeleine Sémer, Convertie et Mystique (1874-1921), Paris 1923; ins Deutsche übertragen und mit einem Nachwort versehen von Romano Guardini, Mainz 1952. | ||
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