Romano Guardini Online Konkordanz
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82.
Brief vom 18.04.1920, Pützchen bei Beuel.
St. Adelheid, Pützchen bei Beuel,
Rheinland.
Lieber Josef
Grad eben erhalte ich eine Aufforderung des Kölner erzb. Ordinariates, ein Curriculum Vitae einzureichen. Selbiges soll geliefert werden, damit mir die Bestätigung als Hausgeistlicher am Herz-Jesu-Kloster St. Adelheid, Pützchen bei Beuel, etwa 3/4 Stde von Bonn entfernt, gegeben werden könne.*676 Besagte Aufforderung machte mich zurückdenken, und so kam ich nach Tübingen und an all das, was mit dem lieben Nest zusammenhängt, und dann an diesen Brief.
Nun sitz' ich also hier, seit letzten Montag. Wohnungs- und Nahrungsüberlegungen sowie freundliche Vermittelungen haben mich hier landen lassen. Sehr still ists, was nach dem wüsten Lärm der Heerstraße, die an meinen Fenstern vorbei über die Haupt-Rheinbrücke führt, sehr wohl tut. Ein bischen weit von Bonn; das, zugleich mit den mancherlei Beanspruchungen im Hause, nimmt viel Zeit weg. Aber die Wohn- und Eßverhältnisse hier sind derart trostlos, daß ich froh sein muß, unterzukommen. Ich habe eine sehr schöne Wohnung und gute Kost. Wie das übrige ist, »homines et jumenta«*677, weiß ich noch nicht recht. Kommt mehrstenfalls erst allmählich heraus, besonders »cornua et ungulae«*678.
Wie mir zu mut ist? Offengestanden, nicht sehr zuversichtlich. Ich werde das Gefühl nicht los, daß ich eigentlich in den gelehrten Betrieb nicht passe. In die akademische Luft schon, die ist so recht die meine;
676 Im neugegründeten Kloster St. Adelheid der Sacré-Coeur-Schwestern Pützchen blieb Guardini vom 12. April 1920 bis Mai 1922 als Hausgeistlicher; vgl. Br. 85. In dieser Zeit hielt er zwei Vorträge in Pützchen: »Wesen und Bedeutung der Jugendbewegung« vor dem »Verband katholischer deutscher Philologinnen« und »Frauenart und Frauensendung« vor dem »Katholischen Deutschen Frauenbund« (KDFB) (Gerner II, 6).
Guardini lernte in Pützchen bereits Gerta Krabbel kennen: Marie Julie Gertrud (Gerta) Krabbel (20.3.1881, Witten/Ruhr, bis 10.3.1961, Aachen), Gründerin von katholischen Studentinnenvereinen, Bundesvorsitzende (1926-1952) und Ehrenvorsitzende des KDFB, langjährige Schriftleiterin der Zeitschrift Die Christliche Frau, Schriftstellerin, auch mit Aufsätzen in den Schildgenossen; mit Edith Stein bekannt, mit Weiger und Guardini befreundet. Ab 1924 schrieb Guardini regelmäßig kleine Beiträge in Die christliche Frau. - Vgl. zu Pützchen: BL 103f.

677 »Menschen und Zugvieh«.
678 »Hörner und Klauen«.

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