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Der Engel
Drei Ansprachen *60

Vorbemerkung
Die Morgenbetrachtungen dieser Tage sollen sich jenen heiligen Gestalten zuwenden, welche in der Liturgie so oft erscheinen und der christlichen Kunst so teuer sind: den Engeln. Sie stehen gleichsam am Rande der den Menschen zugewiesenen Welt. Sie kommen von Gott her zu uns, verlassen uns wieder und entschwinden in das Geheimnis des Himmels.
Mit ihrer Gestalt ist im Laufe der Zeit eine Veränderung vor sich gegangen. Wenn die Schrift von ihnen spricht, erscheinen sie in der Herrlichkeit und Glut Gottes. Das Geheimnis des Gottesgeistes umgibt sie. Seine Mächtigkeit erfüllt sie. Diesen Charakter behalten die Engel im Bewußtsein der Glaubenden lange Zeit hindurch. Dann aber wird ihre Gestalt immer menschenhafter. Ihr Wesen gleitet immer tiefer in die Welt. An die Stelle des heiligen Geisteswaltens tritt das religiöse Gefühl; an die Stelle des Glaubens die Legende oder gar ein von niemand mehr ernstgenommenes Märchen. Ihr Bild wird sentimental, spielerisch, und für das christliche Leben verlieren sie alle Bedeutung.
Diese Morgenbetrachtungen möchten etwas von der ursprünglichen biblischen Größe der Engel erfassen.

I. Der »Engel des Herrn« (Gen 32,22-32)

Am Beginn der eigentlichen Offenbarungsgeschichte stehen die Gestalten der drei Altväter: Abraham, Isaak, Jakob. Der erste zeichnet sich groß und deutlich ab. Der zweite, Isaak, ist ein geheimnisvoller Mensch; einer aus den Schweigern in der

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