Romano Guardini Online Konkordanz
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Der Segen Jakobs von Rembrandt
Ein Brief
[1930]

Lieber Freund,
Mir ist’s heute eigen gegangen in der Rembrandt-Ausstellung der Akademie. Oder ist es nicht etwas Seltsames, wenn man seit langem mit dem Kunstwerk lebt, und auf einmal das Geheimnis seines Wesens neu fühlt? Ich stand vor Rembrandts Jakobssegen. Da ist ein Geschehnis, bis in abgründige Tiefe hinabgeschichtet. Gewaltig ist es, wenn auch sich vollendend in der leisen Gebärde einer Greisenhand. Aber dieses Geschehen gleitet nicht vorbei, unwiederbringlich, sondern es steht. Immerfort streckt sich aus die segnende Hand ... Immerfort strömt, aus dem göttlichen Dahinten her, durch ihre leise Gebärde die Kraft, und wirkt Geschichte in der Zeit, Auserwählung und Verwerfung ... Geschehnis in ruhig-bleibender Gegenwärtigkeit versammelt ... Wie wenn aus dem Brunnen der Strahl springt. Er strömt, und doch steht sein Bogen dauernd im Raum ...
Ich kam von der Photographie zu dem Bilde, und war überrascht von der lichten Körperlosigkeit seiner Farbe. Die Umgebung, in der es hing, wirkte noch dazu: Auf der einen Seite die Vision Daniels aus dem Kaiser-Friedrich-Museum mit ihrem dunklen Leuchten; auf der Wand daneben das unbegreifliche Zauberwerk der Braunschweiger Familie. So war erst eine leise Enttäuschung zu überwinden. Dann aber empfand ich die lichte Durchgeistigung dieser Farben.
Merkwürdig, wie aufgelöst das Bild aufs erste erscheint! Und doch hütet man sich, ein Urteil zu fällen, denn man fühle eine geheime Form.

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